Wien – Wie beginnt man einen Film, der seit Jahren als der ultimative Superhelden-Blockbuster vorbereitet wird? Einen Film, der zum ersten Mal und endlich Marvels bekannteste Kinohelden zusammenführt und auf den somit alles hinauslaufen soll? Die ultimative Bündelung von Kräften und Ressourcen. Vielleicht am besten mit einem Prolog.

Stelldichein in Wakanda: Black Panther, Captain America, Black Widow und White Wolf beim Aufwärmen gegen die Apokalypse.
Foto: Marvel Stdios

"No resurrection this time!" Was es mit dieser eindeutigen Ansage ihres nunmehrigen Gegners, ihres bisher stärksten, auf sich hat, erfahren die Helden in "Avengers: Infinity War" jedenfalls gleich zu Beginn: in erster Linie am eigenen Leib, so wie Hammerwerfer Thor (Chris Hemsworth) und sein Bruder Loki (Tom Hiddleston) – aber auch dort, wo man bei Superhelden eine Seele vermuten könnte.

Denn bereits der erste Auftritt von Thanos (Josh Brolin), einem tonnenschweren Ungetüm mit stets ruhiger und deshalb umso bedrohlicherer Stimme, ist schon die erste Trumpfkarte dieses für das Marvel-Universum überraschend düsteren Films. Die unablässige Wiederauferstehung der Helden – unzerstörbar nicht nur als Figuren, sondern auch durch ihr unablässiges Auftauchen in den bisherigen, miteinander verwobenen Filmen – scheint jetzt ein Ende zu haben. Und "Infinity War" legt es von der ersten Minute an darauf an, nicht nur von einer dräuenden Apokalypse zu erzählen, sondern diese mit seinen keineswegs auf überragende Technik beschränkten Möglichkeiten auch erfahrbar zu machen.

Etappensiege

Unter den jahrelangen Vorzeichen und ökonomischen Vorgaben eine über weite Strecken kohärente und tatsächlich einfallsreiche Erzählung zustande gebracht zu haben ist natürlich in erster Linie das Verdienst des Autorenduos Christopher Markus und Stephen McFeely, seit der "Captain America"-Reihe (2011–2016) und "Thor: The Dark World" (2013) auf Marvels Gehaltsliste.

Der Kampf der über alle Welten verstreuten und nach wie vor zerstrittenen Helden gegen Thanos beruht auf dessen Verlangen nach sechs im Universum versteckten Artefakten, den sogenannten Infinity-Steinen, die der Koloss wie bunte Trophäen auf seinem nicht minder schwergewichtigen Handschuh sammelt. Jeder dieser aus diversen Vorgängerfilmen bekannten Steine – einer befindet sich in der Obhut von Dr. Strange (Benedict Cumberbatch), ein weiterer in der Stirn des Androiden Vision (Paul Bettany) – bedeutet für ihn und seine ausgemacht ansprechende Helfertruppe einen Etappensieg. Und so wie Thanos die Steine, so liest dieser Film seine Helden auf und schmückt sich mit ihnen.

Marvel Entertainment

Dass man auch als Zuschauer eines zweieinhalbstündigen Blockbusters einen langen Atem braucht, wissen wiederum die Regisseure Anthony und Joe Russo ("Captain America: Civil War"), bereits längst mit dem zweiten Teil des finalen Spektakels beauftragt, sehr genau. Wohldosiert – und in bestem Sinne -kalkuliert – wechseln Schauwerte und Schauplätze, während die einzelnen Heldensagen aufeinander zulaufen.

Die Befürchtung, die Kurzauftritte Spidermans (Tom Holland) oder des unlängst gefeierten Black Panther (Chadwick Boseman) seien rein dem Zweck geschuldet, erweist sich dabei als unbegründet: Genügend Platz zu haben ist hier nämlich keine Frage von Raum und Zeit, sondern eine der Aufmerksamkeit. Und ebenso geschickt platziert sich auch der typische Marvel-Humor, der diesmal vorrangig auf Kosten des Hulk (Mark Ruffalo) geht, selbstverständlich ohne das sympathische Wutbinkerl ("There’s an Ant-Man and a Spider-Man?") dabei zu desavouieren.

Das Gute im Bösen

Ein entscheidendes Erfolgskriterium eines Films dieser Größenordnung – mit einem kolportierten Budget von 300 Millionen Dollar und einem zu erwartenden Einspielergebnis, mit dem der führende "Star Wars: The Force Awakens" übertrumpft werden dürfte – liegt aber auch darin, über das Management eines solchen Unternehmens hinaus Fragen zu stellen. "Infintity War" gelingt dies vor allem durch seine Zeichnung des sogenannten Bösen.

Natürlich bleibt der Verweis auf das Menschliche dieser Figur, und also auf das Gute in ihr, gerade im kosmischen Rahmen eindimensional. Doch die Perversion von Gnade und Erbarmen, die sie vorantreibt, macht sie im Gegensatz zu ihren heldenhaften Gegnern zu einer Denkfigur von nahezu philosophischer Tiefe.

Mit "Infintity War" nähert sich das Marvel Cinematic Universe (MCU) jedenfalls ein Jahrzehnt nach dem Eröffnungsfilm "Iron Man" und nach insgesamt 18 Filmen einem Wendepunkt. Als Franchise-Unternehmen war Marvel bisher darauf bedacht, in aufeinanderfolgenden "Phasen" den Boden aufzubereiten, Marken und Namen zu etablieren und die Größenverhältnisse entsprechend dem Bekanntheitsgrad seiner Figuren auszuloten, was auch in "Infintity War" deutlich sichtbar wird.

Dass der Grad der Übersättigung zumindest an der Kinokassa noch nicht überschritten wurde, ist dabei vor allem eine strategische Leistung – und der ständigen Aussicht auf dieses erste Gipfeltreffen geschuldet. Eine Phase bezeichnet aber nicht nur einen zeitlichen Abschnitt, sondern auch den Aufgang eines Gestirns – das so lange leuchtet, bis sein Licht erlischt. (Michael Pekler, 25.4.2018)