Anno 2009, als Italien sich bei der Unesco um Aufnahme der Dolomiten in den erlauchten Kreis des Weltkulturerbes bewarb, berief man sich interessanterweise auf einen Reisebericht aus dem Jahr 1864. Die Engländer Josiah Gilbert und George C. Churchill hatten nach einer waghalsigen Expedition das Kulturdokument "The Dolomite Mountains" verfasst und publiziert. In London wurde das Werk zum "talk of the town". Mehr als ein Dutzend Blätter, von der Saturday Review über den Guardian und"The Nonconformist bis zum Geologic Magazine, brachten enthusiastische Rezensionen. Gilbert und Churchill wurden in den Alpine Club aufgenommen, und Verleger John Murray bestellte ad hoc Nachfolgebücher. Die Erfolgsgeschichte gipfelte in dem exzentrisch anmutenden Titel "Knapsack Guide for Travellers in Tyrol and the Eastern Alps", der trotz 600 Seiten einen regelrechten Hype auslöste.

Interessant ist, dass trotz der schon lange – gerade unter den Vorreitern des Tourismus – weit verbreiteten "Grand Tour" die Dolomiten bis zu jenem Zeitpunkt terra incognita geblieben waren. Sowohl für die Deutschen als auch für die Engländer galt Italien alias Arkadien quasi als gelobtes Land. Goethes "Italienische Reise" wurde Ziel und Zeuge. Nach Albrecht von Hallers Alexandrinerversen auch die Alpen. Die Schweiz mutierte ab 1871 zum "Playground of Europe", ausgelöst durch Sir Leslie Stephen. Der Vater von Virginia Woolfe war so etwas wie der Reinhold Messner des Golden Age of Alpinism.

Gilbert & Churchill begaben sich übrigens auf die Fährte des bretonischen Arztes Belsazar Hacquet, der als Erster im Auftrag von Maria Theresia den Großglockner bestieg – und auf die Spuren des französischen Forschungsreisenden Déodat de Dolomieu, der 1789 in Südtirol auf das Gestein gestoßen war, das seither seinen Namen trägt.

Was macht den Reisebericht, der vor gut 150 Jahren entstanden ist, aber heute noch interessant und relevant? Es ist mehr als der Enthusiasmus und Entdeckergeist der beiden britischen Gentlemen, die ihre Expedition zu Fuß, auf Maultieren, mit Schlitten und Kutschen beschrieben, es ist die Faszination der Bergwelt selbst. Das karstige Massiv blieb Sehnsuchtsziel vieler Touristen. Erwin Brunner hat manch Verschrobenes, manch Verstaubtes, manch scheinbar Uninteressantes aus der Zeitkruste gelöst und so manche Passage aufpoliert. Was bleibt, ist ein geistreicher, oft amüsanter Reisebericht aus der Frühzeit des Tourismus. (Gregor Auenhammer, 25.4.2018)