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Ureinwohner befürchten eine größere Wasserverschmutzung durch die Dakota-Access-Erdölpipeline. Seit Jahren laufen Proteste. Zeitweise versammelten sich zehntausende Menschen im Standing-Rock-Reservat.

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Eryn Wise kämpft seit Jahren an vorderster Front gegen die Pipeline und für die Rechte amerikanischer Ureinwohner.

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Wasser ist Leben, Mni wiconi. Unter diesem Motto der Lakota, einer Stammesgruppe der Sioux, stand eine der größten Umweltprotestbewegungen der 2000er-Jahre in den USA. Ziel war es, den Bau der Dakota-Access-Pipeline zu verhindern, die unter dem Reservat Standing Rock verläuft. Die Indigenen erreichten Ende 2016 einen Baustopp. Der neue US-Präsident Donald Trump ordnete jedoch am zweiten Tag nach seiner Amtseinführung den Weiterbau an, "im Interesse aller Amerikaner". Im Moment laufen Klagen der Sioux vor mehreren Bundesgerichten. Die 1.880 Kilometer lange Erdölpipeline ist jedoch fast fertiggestellt. Eryn Wise gehört dem Volk der Laguna (Pueblo-Indianer) an. Sie ist eine der Galionsfiguren der Protestbewegung, die von Teenagern initiiert wurde.

STANDARD: Sie sind seit Beginn an vorderster Front bei den Protesten von Standing Rock gegen die Erdölpipeline dabei. Was hat Sie dazu bewogen?

Wise: Eine Gruppe von jungen Leuten marschierte vom Reservat bis zum Weißen Haus, um an den damaligen US-Präsidenten Barack Obama zu appellieren, die North-Dakota-Access-Pipeline nicht zu bewilligen. Ich wollte einfach auf meine jüngere Schwester und meinen jüngeren Bruder aufpassen, die mitmarschierten. Aber natürlich war die Anerkennung der Vertragsrechte um das Land der Indigenen, der Schutz des Wassers und des Bodens, in dem unsere Vorfahren begraben liegen, ebenfalls zentral. Bald war ich für viele Jugendliche eine Art Mutterfigur.

STANDARD: Das Besondere an der Bewegung von Standing Rock ist, dass sie von Jugendlichen ausging. Wie kam es dazu?

Wise: Sie realisierten, dass die Entscheidungen, die die Erwachsenen für sie trafen, ihre Zukunft nicht positiv beeinflussen würde. Entscheidungen wurden für den persönlichen Vorteil getroffen. Ein wichtiger Grundstein war, dass die jungen Menschen das "Sieben-Generationen-Prinzip" – ein altes philosophisches Prinzip der Irokesen – anerkannten. Entscheidungen werden demzufolge für sieben Generationen getroffen. Auch den noch ungeborenen Kindern wird damit eine Stimme verliehen.

STANDARD: Wie wichtig war es, bei juristischen Fragen sattelfest zu sein?

Wise: Sehr wichtig. Wir hatten regelmäßig Vorträge, damit alle wussten, auf was sie sich einlassen. Zudem hielten wir Anti-Gewalt-Trainings ab. Es war wichtig, bei einer einzigen, klaren Botschaft zu bleiben: Wir sind hier, um gegen die Pipeline zu protestieren. Die Sicherheit von allen durfte nicht aufs Spiel gesetzt werden.

STANDARD: Fotos zeigen, wie gegen Demonstranten Tränengas, Gummigeschoße und Wasserwerfer eingesetzt wurden. Wie verarbeiten Teenager diese Erfahrungen?

Wise: Es war Krieg. Sie ließen tagelang Hubschrauber über unserem Camp kreisen, installierten Stadionscheinwerfer in der Nacht, schleusten Spitzel ein. Sie brachten Waffen, um uns zu verletzen. Menschen wurden schwer verletzt und mussten mitansehen, wie die Knochen ihrer Vorfahren von Baggern ausgehoben wurden. Als wir Standing Rock verließen, war es nicht so, als hätten wir einen Protestmarsch verlassen, sondern so, als wären wir aus dem Krieg gekommen – den wir leider nicht gewonnen haben. Viele leiden unter posttraumatischen Belastungsstörungen. Die werden dadurch verstärkt, dass die Attacken auf unser Land andauern.

STANDARD: In sozialen Netzwerken, aber auch durch Mainstream-Medien wurden nachweislich Fake-News über die Demonstanten verbreitet. Wie geht man damit um?

Wise: Es wurden erneut Stereotype und Lügen über uns verbreitet. So wurde etwa behauptet, dass wir mit Pfeil und Bogen und Tomahawks auf die Behörden geschossen hätten. Wir hatten zu keinem Zeitpunkt irgendwelche Waffen bei uns. Es ist demoralisierend, nicht nur physisch attackiert zu werden, sondern auch mental und seelisch geprügelt zu werden – von Menschen, die uns wie Cartoon-Charaktere stilisieren.

STANDARD: Trump hat die Pipeline wieder erlaubt. Wie ist die Situation im Moment?

Wise: Als es endlich so schien, als seien wir ein paar Schritte vorwärts gekommen, wurde Trump gewählt. Seine erste Anweisung im Amt war, per Dekret den Weiterbau der Dakota-Access-Pipeline anzuordnen. Er ist selbst geschäftlich in das Projekt involviert. Die Pipeline war übrigens bereits in den ersten sechs Monaten mehr als zweimal leck.

STANDARD: Wie geht es nach diesem Rückschlag weiter?

Wise: Ja, die Dakota-Access-Pipeline wurde vollständig gebaut. Aber ich denke, der breite Widerstand in der gesamten Gesellschaft wird unterschätzt. Die Menschen haben es schon seit Jahrzehnten satt, welche Bilder die Vereinigten Staaten vermitteln: Polizeigewalt gegen Minderheiten, ungebremste Investitionen in die Rohstoffindustrie, der alltägliche Rassismus. All das wurde auch durch Standing Rock sichtbar: Nun muss etwas dagegen getan werden.

STANDARD: Sie wurden selbst bei den Protesten attackiert. Woher nehmen Sie selbst die Energie, um weiterzumachen?

Wise: Alles, was ich mache, ist eine Hommage an meine Vorfahren. Sie haben viel mehr durchgemacht als ich. Als Laguna-Pueblo-Frau ist es meine Verpflichtung, mich für die kommenden sieben Generationen einzusetzen. Ich muss sicherstellen, dass Hoffnung und ein Heim für die Kinder da ist, die noch nicht einmal auf der Welt sind. (Julia Schilly, 26.4.2018)