Eigentlich hätte es ein kurzer Termin im Straflandesgericht werden sollen. Doch im Gerichtssaal spielten sich emotionale Szenen ab.

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Graz – Die Angeklagte hat die schwarzen Haare hochgesteckt, über ihrem weiß-blauen Sommerkleid trägt sie eine schwarze Weste. Auch wenn sie den Zuhörern im Grazer Straflandesgericht den Rücken zugewandt hat, ist ihr die Aufregung anzumerken. Der 54-jährigen Frau, die arbeitsunfähig ist und in einer kleinen steirischen Gemeinde von Krankenstandsgeld lebt, wird Falschaussage und Begünstigung vorgeworfen. Wie DER STANDARD berichtete, hat sie vor der Polizei Aussagen zu ihrem langjährigen Hausarzt Eduard L. gemacht.

Vorwurf der Vergewaltigung

Ihre Tochter hatte ein Verhältnis mit dem Arzt gehabt und ein Verfahren gegen diesen wegen Vergewaltigung angestrengt. Es ist derselbe Arzt, den seine vier erwachsenen Kinder beschuldigen, sie während ihrer Kindheit gequält zu haben. Gegen seinen Freispruch in dieser Causa wurde bekanntlich berufen. Wann neu verhandelt wird, ist noch nicht bekannt.

Doch zurück zum früheren Verfahren wegen Vergewaltigung, das eingestellt wurde, aber der Grund für die aktuelle Verhandlung ist. 2014 und 2015 entlastete H. den Arzt, dem ihre Tochter eine Vergewaltigung vorwarf, vor der Polizei.

2016 ging sie abermals zur Polizei und revidierte alles. Sie habe Angst vor dem Arzt gehabt, er habe ihr Waffen gezeigt, von Sprengstoff erzählt und ihr in seiner Ordination Marihuana angeboten.

Wegen der ersten entlastenden Aussagen sitzt sie am Mittwoch vor Richter Andreas Lenz. Der sagt zu den verschiedenen Versionen, die H. ausgesagt hatte: "Das eine schließt das andere aus. Sie haben falsch ausgesagt." "Stimmt", sagt die bisher unbescholtene Frau. Sie bekennt sich also schuldig, und man könnte den Fall hier abschließen. 45 Minuten hat man im Verhandlungssaal 5 für die Verhandlung eingeplant. Doch es kommt anders.

Verzweifelt

Frau H. will nämlich erzählen, warum sie 2014 und 2015 eine Falschaussage machte. Und der Richter will ihr nicht glauben, dass sie 2016 und heute die Wahrheit sagt, was eigentlich bedeuten würde, dass sie 2014 und 2015 die Wahrheit sagte und gar keine Falschaussage machte. H. ist ohne Anwalt gekommen, redet viel, verzweifelt und in starkem oststeirischem Dialekt.

Dass sie gelogen habe, als sie den Arzt entlastete, habe "alles einen Grund", sagt sie mit bebender Stimme. Der Mann, dem sie als Hausarzt 22 Jahre lang vertraut habe, bis er ein Verhältnis mit ihrer Tochter anfing, habe ihr gesagt: "Er wird jeden vernichten, der sich gegen ihn stellt." Sie wollte mit ihren Aussagen ihre Familie, ihrer Tochter und deren Kinder schützen. Auch die spätere Lebensgefährtin von L. habe ihr gesagt, dass sie Todesangst vor L. habe.

H. sei überzeugt gewesen, dass man ihrer Tochter die Vergewaltigung ohnehin nicht glauben werde. "Waren Sie bei der Vergewaltigung vielleicht dabei?", herrscht sie der Richter an. "Nein", gibt die Frau zu, aber ihre Tochter sei danach weinend zu ihr gekommen. "Das war ein Déjà-vu für mich", sagt sie – ohne das zunächst auszuführen. Doch der Richter will nicht verstehen, warum die Angeklagte trotz ihrer angeblich so großen Angst noch jahrelang Rezepte für ihren Mann bei dem Arzt holte. Ihr Mann soll sich 2014 erschossen haben – ohne Schmauchspuren auf seiner Hand zu hinterlassen. DER STANDARD berichtete.

Kein Lügendetektor

H. sagt, sie habe keinen anderen Arzt in der Nähe und habe damals jeden Tag als Verkäuferin um 7.00 Uhr früh in Oberwart sein müssen. Auch dass sie und ihr Lebensgefährte mit L. essen waren, verstehen weder Richter noch Staatsanwalt Christian Kroschl. Letzterer war auch der zuständige Staatsanwalt im Prozess der Kinder L.s gegen ihren Vater. Jetzt fragt er die Angeklagte, ob vielleicht sie auch ein Verhältnis mit L. gehabt habe. Nein, sagt diese, sie sei "eine der wenigen" gewesen, die nichts mit ihm gehabt hätten.

Immer wieder schreit Lenz die Frau an und unterbricht sie. Sie wirkt immer verzweifelter. Niemand im Gerichtssaal kann wissen, ob die Frau am Mittwoch nun die Wahrheit sagt. Niemand – außer dem Richter. "Sie lügen", ruft er. Sie sage "zu tausend Prozent die Wahrheit", er könne sie hier "an einen Lügendetektor anhängen", so H.

"Schlimm genug"

Dann zitiert Lenz den Spruch, den man ja schon aus der Schule kenne: "Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht, und wenn er auch die Wahrheit spricht." Als H. erzählt, dass sie selbst mit zwölf vergewaltigt wurde, entgegnet ihr der Richter unwirsch: "Ja, das ist eh schlimm genug." Dann räumt er ein, er sei vielleicht heute etwas laut, weil er verkühlt sei.

Doch als Eduard L. in den Zeugenstand gerufen wird, hat Lenz seine Stimme wieder fest im Griff. Ruhig befragt er den Arzt, der mit sanfter Stimme erzählt, er habe nie ein Problem mit Frau H. gehabt. Die Pistole, die er ihr gezeigt habe, sei nur ein Spielzeug gewesen. Der "Herr Doktor" wird von Lenz entlassen. Die Verhandlung wird auf einen unbekannten Zeitpunkt vertagt, weil Lenz noch die beiden Polizistinnen hören will, die H. damals einvernahmen. (Colette M. Schmidt, 25.4.2018)