Auch am Mittwoch demonstrierte die Opposition in Eriwan

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Serge Sargsjan ist weg, doch die Revolution ist noch nicht am Ziel, so dämmert es den Anhängern der Protestbewegung in Armenien. Am Mittwoch, zwei Tage nach dem Rücktritt des Premierministers, der nach zehn Jahren als Präsident im neuen Amt weiterregieren wollte, sind seine Gegner wieder auf den Straßen im Zentrum der Hauptstadt Eriwan. Auch Sargsjans Nachfolger im Amt und die regierende Republikanische Partei Armeniens (HHK) überhaupt sollen ihren Platz räumen, so lautet die Forderung der Demonstranten. "Wir haben Regeln", antwortete Karen Karapetijan, der geschäftsführende Premier.

Ein vereinbartes Treffen zwischen Opposition und amtierender Regierung war noch in der Nacht auf Mittwoch abgesagt worden. Nikol Pashinjan, der Führer der Protestbewegung und Parlamentsabgeordneter eines kleinen Reformerbündnisses, hat stattdessen seinen Anspruch auf das Amt des Premiers angemeldet. Ob sofort oder nach Neuwahlen, war jedoch nicht klar.

"Keine Kontrolle mehr"

Für Kompromisslösungen sei es zu spät, sagt Artak Kirakosjan, der Präsident des Civil Society Institute in Eriwan. Die Regierungspartei kontrolliere nichts mehr im Land, auch wenn die staatlichen Institutionen weiter funktionierten. Niemand traue mehr den Vertretern der Republikanischen Partei, weil sie entgegen allen Versprechen in der Vorwoche im Parlament geschlossen den scheidenden Präsidenten Sargsjan zum neuen Regierungschef gewählt hatten, erklärt Kirakosjan. "Mit jedem Schritt, den sie jetzt gegen Nikol Pashinjan unternehmen, wird er stärker."

So treibt Armenien, ein enger Verbündeter Russlands und wirtschaftlich wie militärisch abhängig von Moskau, nun dahin. Der neue Präsident des Kaukasusstaates, Armen Sargsjan – kein Verwandter des zurückgetretenen Premiers -, ergriff am Mittwoch die Initiative und kündigte Gespräche mit Regierungspartei und Protestbewegung an. Seit dem Verfassungswechsel zum parlamentarischen System, den der frühere Präsident Serge Sargsjan nach zwei Amtszeiten zur Sicherung seiner Macht durchgedrückt hatte, bleiben dem Staatschef nur protokollarische Aufgaben; der Premier ist nun die mächtige Figur.

"Kandidat des Volkes" gesucht

Wie die vor allem von den jungen Armeniern getragene Protestbewegung dieses Amt mit ihrem Anführer Pashinjan besetzen will, ist die große Frage. Möglich schien weiter, dass Nikol Pashinjan zunächst einen Oppositionsvertreter als Premier zu platzieren versucht. Armenische Medien zitierten ihn mit der Erklärung, das Parlament müsse einen "Kandidaten des Volkes" übergangsweise zum Regierungschef wählen. Der Chef einer der kleinen Reformparteien, die mit Pashinjan eine neunköpfige Fraktion im Parlament führen, schlug am Mittwoch dagegen gleich Pashinjans Nominierung vor.

53 Stimmen – die absolute Mehrheit im Parlament – seien dafür notwendig, erklärte Edmon Marukjan der russischen Nachrichtenagentur Sputnik. Neben dem Reformerbündnis Der Ausweg (Yelq) würde auch die zweitgrößte Partei im Parlament, Wohlhabendes Armenien (BHK) des Geschäftsmanns Gagik Tsarukian, für den Führer der Protestbewegung stimmen, versicherte Marukjan. Damit käme Pashinjan auf 40 Stimmen. Die restlichen 13 könnten von Überläufern der alten Regierungspartei kommen.

Dass Tsarukian, ein Oligarch und zeitweise Koalitionspartner der Regierungspartei, die Seiten wechselte, isoliert das alte Regime nur weiter. Im Lauf des Tages erklärte sich auch der erste Abgeordnete der kleinen nationalistischen Dashnaksutjun-Partei bereit, die Protestbewegung zu unterstützen. Die will eigentlich mehr Demokratie und einen Pro-Europa-Kurs. (Markus Bernath, 25.4.2018)