Archivbild aus dem Jahr 2013: Präsident Abdullah Gül mit seinem damaligen Premierminister Recep Tayyip Erdoğan.

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Ankara/Athen – Er ist der Geisterkandidat, der in Ankara alle beschäftigt: Abdullah Gül könnte bei den vorgezogenen Wahlen in der Türkei am 24. Juni gegen den amtierenden Staatschef antreten. Die Aussicht sorgt schon für Furore im Präsidentenpalast und auch in den Reihen der Opposition. Schließlich war Gül lange die Nummer zwei neben Tayyip Erdoğan, dem heute autoritär regierenden Präsidenten des Landes.

Zwei Stunden und 15 Minuten dauerte am Mittwoch das Treffen zwischen Gül und einem Emissär aus Ankara, dem Vorsitzenden der Islamistenpartei Saadet, Temel Karamollaoglu. Der fuhr danach wieder ab, ohne ein Wort zu sagen. Die Saadet-Partei ist klein, aber nicht unwichtig. Sie sammelt die frommen, mit Erdoğanunzufriedenen oder über seinen Kurs auf die Alleinherrschaft verschreckten Wähler. Und Gül wie Erdoğan stammen aus dem politischen Milieu dieser Partei. Saadet-Chef Karamollaoglu war vorgeschickt worden, um Gül über eine mögliche Präsidentenkandidatur auszuforschen. Der 67-Jährige hält sich bedeckt, doch die Uhr tickt.

Diese Woche noch wird die Wahlkommission den Termin für die gleichzeitig stattfindenden Parlaments- und Präsidentenwahlen offiziell verkünden. Danach haben Parteien und Kandidaten eine Woche Zeit, sich zu erklären. Wahlbündnisse, die für die Parlamentswahl nun erstmals rechtlich möglich sind, müssen von den Parteien fixiert sein. Kandidaten für das Präsidentenamt müssen ihren Antrag eingereicht haben.

Das freundliche Gesicht

Sollte Gül antreten, würde mit ihm auch Ali Babacan zurück auf die politische Bühne kommen, glauben politische Beobachter in der Türkei. Gül, der bereits von 2007 bis 2014 türkischer Staatspräsident war – allerdings im alten, parlamentarischen System -, und Babacan, der langjährige ehemalige Wirtschaftsminister, gelten im Westen als das freundliche, reformbereite Gesicht der Türkei. Den politischen Strategen im Land selbst scheint Gül dagegen der Sammelkandidat, der alle gegen Erdoğanvereinen könnte: Fromme wie Säkulare, Kurden wie Nationalisten.

Doch ganz so glatt geht es offensichtlich nicht. In der größten Oppositionspartei, der sozialdemokratisch-kemalistischen CHP, ist der Widerstand gegen die Unterstützung einer hypothetischen Kandidatur Güls in einer Stichwahl gegen Erdoğan laut geworden. Parteichef Kemal Kiliçdaroglu hält Gül für eine gute Option, um – wie er sagt – die Demokratie zu retten. Eine Reihe von Parteifreunden findet es unmöglich, einen konservativen Islamisten zu stützen. Meral Aksener, die chancenreiche Nationalistin, sieht es ähnlich: "Die parteiübergreifende Kandidatin bin ich." (Markus Bernath, 25.4.2018)