Der Gesundheitssektor ist ein wichtiger Wirtschaftsfaktor in Österreich – mit vielen Arbeitsplätzen und hoher Wertschöpfung. Das vorhandene Know-how könnte aber besser genutzt werden, sagen Experten.

Foto: STANDARD/Regine Hendrich

Wien – Der Wunsch nach Gesundheit steht in allen gestützten Umfragen wenn schon nicht an erster Stelle, so doch immer ganz weit oben. Dennoch wird der Erhalt bzw. die Rückgewinnung der Gesundheit nach einer Krankheit oder einem Unfall meist als kostentreibende Angelegenheit gesehen – zu Unrecht, wie eine Erhebung des Instituts für Höhere Studien (IHS) zeigt.

Denn Gesundheitsleistungen, die in Österreich nachgefragt werden, führen zu einem hohen Maß an Wertschöpfung im Land. Wie viel genau, das wurde jetzt erstmals umfassend vom IHS im Auftrag der Wirtschaftskammer Österreich (WKO) ermittelt.

Hoher Personalbedarf

Demnach entstehen durch Nachfrage nach Gesundheitsleistungen direkt, indirekt sowie induziert (über die Einkommen der Ärzte beispielsweise) insgesamt 47,3 Milliarden Euro an Wertschöpfung. Bezogen auf die Gesamtwirtschaft sind das 18,5 Prozent – "ein hoher Anteil, der weiterwächst", wie Thomas Czypionka, einer der fünf Studienautoren, sagte. Besonders dynamisch wachse der erweiterte Gesundheitsbereich, also alles abseits von Spitälern, Ärzten und Krankenversicherungen.

Was bisher mehr oder weniger nur vermutet wurde, hat sich nach der knapp ein Jahr langen Untersuchung bestätigt: Der Gesundheitssektor hat einen hohen Personalbedarf. So ist nicht weniger als jeder siebente Beschäftigte in der Gesundheitswirtschaft tätig. Berücksichtigt man auch angrenzende, vom Kernbereich Gesundheit angestoßene Wirtschaftssektoren, ist es sogar jeder fünfte Job. In der Gesundheitswirtschaft selbst sind der Erhebung zufolge 624.000 Menschen in Österreich beschäftigt. Inklusive angrenzender Bereiche sind es 870.000 Personen; das entspricht knapp 700.000 Vollzeitäquivalenten. Zudem wird jeder achte Abgabeneuro in diesem Bereich erlöst.

Gesundheitssatellitenkonto

Gemessen wurde die Relevanz des Sektors mithilfe eines sogenannten Gesundheitssatellitenkontos, für das Zahlen der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung der Statistik Austria herangezogen wurden. Die letzten verfügbaren Zahlen stammen dabei aus dem Jahr 2013.

Das Satellitenkonto reflektiert die wirtschaftlichen Verflechtungen rund um das Thema Gesundheit. Aus der Motivationsforschung wisse man beispielsweise, dass 49 Prozent der Menschen hauptsächlich deshalb Sport betreiben, weil sie erwarten, dadurch gesund zu bleiben. "Wenn jemand ein Buch kauft, das Sport zum Inhalt hat, haben wir dessen Preis folglich zu 49 Prozent in der Erhebung berücksichtigt", sagte Gesundheitsökonom Czypionka.

Trotz der hohen Kapazitäten und des vorhandenen Know-hows im Gesundheitsbereich verkaufe sich Österreich unter seinem Wert, sagte Czypionka. Dies sei umso mehr der Fall, wenn man bedenke, dass es hierzulande zusätzlich noch gewichtigere Branchen im erweiterten Bereich der Gesundheitswirtschaft wie Ernährung und Tourismus gebe. Der Außenhandelsüberschuss im gesamten Bereich beträgt nur knapp eine halbe Milliarde Euro. Das sind etwa 6,3 Prozent des gesamten Überschusses. "Das Potenzial Österreichs wird hier noch nicht ausreichend genutzt", sagte Czypionka.

Überregulierung

Martin Gleitsmann, Leiter der sozialpolitischen Abteilung der WKO, glaubt, einige der Gründe zu kennen: "Überregulierung, wenig Wettbewerb, Reformstau". Die Vorhaben der türkis-blauen Regierung, bis Ende des Jahres Regelungen zu beseitigen, die EU-Vorgaben unnötigerweise übererfüllen (Gold-Plating), seien zu begrüßen.

Zudem sollten die Unternehmen laut Gleitsmann gute Rahmenbedingungen vorfinden, um sich entfalten zu können. Dazu gehörten flexible Arbeitszeiten, die Senkung der Lohnnebenkosten, die Stärkung des Prinzips "Beraten statt strafen" sowie eine generelle Entbürokratisierung. (Günther Strobl, 26.4.2018)