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Ein Löffler gleitet elegant über den Neusiedler See. Der Seewinkel ist im Frühjahr die ideale Gegend in Österreich, um besonders viele Vogelarten zu beobachten.
Foto: Getty Images / Norbert Lochner

Wer ein echter Birder werden will, sollte biorhythmisch den richtigen Vogel haben. Früh erwachende Lerchen tun sich zweifellos etwas leichter als notorische Eulen, um sich noch vor dem Sonnenaufgang – in diesen Tagen also um einiges vor sechs Uhr – zur Vogelbeobachtung in die freie Wildbahn zu begeben, im konkreten Fall jene rund um Illmitz in Burgenland.

Der malerische Ort am Ostufer des Neusiedler Sees ist der österreichische Hotspot nicht nur für heimische, sondern auch für internationale Vogelschauer: "Nirgendwo sonst in Österreich kann man mehr verschiedene Vogelarten beobachten", sagt Alois Lang, der das Besucherzentrum des Nationalparks Neusiedler See – Seewinkel umsichtig leitet.

Drei Tage der Vögel und Vogelkundler

Am vergangenen Wochenende kam neben all den dort durchziehenden und brütenden Vögeln noch eine weitere Attraktion dazu: die Pannonian BirdExperience (kurz: Bex), die hunderte Vogelkundler aus nah und fern anlockte, Profi-Ornithologen ebenso wie Interessierte Laien. Diese Fachmesse für das bunte und schnell wachsende Völkchen der Ornis ist schließlich eine der größten Europas, bei der Aussteller spezielle Ferngläser, Kleidung und Bücher zur Vogelbeobachtung feilbieten.

Das Besucherzentrum des Nationalparks war Schauplatz der BirdExperience.
Foto: gemeinfrei

Die Bex, die heuer zum neunten Mal im Informationszentrum des Nationalparks stattfand, bietet aber auch zahlreiche Exkursionen und Vorträge sowie ein kurzes Birdrace, das am Samstag pünktlich um 5.30 Uhr startete. Das Ziel der knapp zehn teilnehmenden Teams: In vier Stunden möglichst viele verschiedene Spezies von Federvieh in freier Wildbahn eindeutig zu bestimmen. Als etwas zu früh geweckte Eule und Birder-Novize schließt man sich am besten einer Profitruppe an, im konkreten Fall sind das Brigitte Kranzl, Martin Riesing und Christoph Roland.

Der sehr elitäre Club 300

Roland hat das Um-die-Wette-Vogelbestimmen in Österreich vor 15 Jahren begründet und ist Autor des Buchs "Birding Hotspots", das 43 Routen rund um den Neusiedler See versammelt und in einem Monat erscheinen wird. Gemeinsam mit Riesing gehört er außerdem dem sehr elitären österreichischen Club 300 an, der zurzeit nur 49 weitere Mitglieder hat. Diese Vogelkundler-Elite des Landes verbindet eine Besonderheit: 300 oder mehr verschiedene Vogelarten in Österreich gesichtet zu haben. Das ist viel. Sehr viel.

Solchen Auskennern reichen für eindeutige Bestimmungen zahlloser Arten natürlich die Ohren. In den ersten Minuten des Vogelwettrennens werden deshalb etliche Spezies allein nach Gehör eindeutig identifiziert: Kohlmeise (zibäh-zibäh-zibäh), Wiedehopf (up-up-up, daher auch sein wissenschaftlicher Name Upupa epops), dreisilbige Türkentaube und fünfsilbige Ringeltaube sowie Nachtigall (eh klar) sind für das Trio nur Aufwärmübungen.

Vogelerkennen auf der Aussichtswarte

Nach dieser kleinen Zwitscher-Ouvertüre geht es mit dem Fahrrad weiter, da die Fortbewegung beim Birdrace stets mit eigener Muskelkraft erfolgen muss. Erster Halt ist eine Aussichtswarte mit Blick auf den Neusiedler See, dessen Oberfläche in den ersten Sonnenstrahlen silbrig glitzert. Das Expertentrio baut die mitgeführten Spektive, also die stark vergrößernden und stark ins Geld gehenden Beobachtungsfernrohre, mit routinierten Handgriffen flott auf, während sich der Novize mit dem ausgeborgten Fernglas am Anblick eines Rehs erfreut, das im Morgenlicht durch den See watet.

Schnell sagen sich die Wissenden am Spektiv stehend die nächsten Arten zu, die von zumindest einem weiteren Mitglied des Teams bestätigt werden müssen. Stockente, Blässhuhn, Graugans und Höckerschwan kann auch der Lehrling abnicken.

Ein am Neusieder See zur Zeit recht häufiger Anblick: Graugänse mit ihren Gösseln.
Foto: Nicolas Weghaupt

Die Profis sehen unter anderem auch noch Stelzenläufer, Löffelenten, Säbelschnäbler, Kolbenenten, Dunkle Wasserläufer, Schnatterenten, Kampfläufer, Rotschenkel oder Brandgänse. Um dem Neuling en passant ein wenig Nachhilfe zuteil werden zu lassen, darf der auch durch das voreingestellte Spektiv schauen – und danach in den sogenannten "Svensson".

Das ist ein Vogelbestimmungsbuch und so etwas wie die Bibel der Birder: 900 europäische Vogelarten werden da auf über 4000 Farbzeichnungen mit den verschiedenen Kleidern, Unterarten und Geschlechtern vorgestellt. Auf diese Weise erkennt der Lehrling etwas besser, was er gerade durch das Fernrohr gesehen hat – und wird sich merken, dass der Rotschenkel nicht zufällig Rotschenkel heißt oder dass man die Brandgans an ihrem leuchtend roten Schnabel eigentlich eh ziemlich leicht erkennen kann.

Warum und wie Vögel singen

Um das Spektrum der selbst bestimmbaren Vögel zu erweitern, sollten Birder-Newbies den zweiteiligen Vogelstimmenkurs im Rahmen der Bex nicht versäumen. Zuerst die Theorie, bei der die jungen Nationalpark-Guides Daniel Bayer und Daniel Leopoldsberger kurzweilig und anschaulich vermitteln, warum Vögel überhaupt singen (es geht vor allem um Sex) und vor allem, wie sie es tun.

Merke: Die Mönchsgrasmücke klingt wie eine Amsel auf Ecstasy, der Zilpzalp wie Zilpzalp und der Girlitz wie eine rostige Fahrradkette. Der Star hingegen stiftet in der Theorie nur unnötig Verwirrung: Der ist nämlich ein begabter Stimmenimitator und kann viele Vogelstimmen nachmachen.

Von der Theorie zur Praxis

Praxisbeginn ist dann am Sonntag, für eine Eule wieder eher mitten in der Nacht. Die Uhr zeigt nämlich schon wieder 5.30 – und die vortägige Theorieschulung hat trotz der frühen Stunde eine gewisse Wirkung: Während hinter dem Schilf beim Seebad Illmitz langsam die blutrote Sonne aufgeht, zeigen sich Schilfrohrsänger und Teichrohrsänger, die für das ungeschulte Auge recht ähnlich aussehen (worüber die Experten natürlich nur lachen können). Aber auch wir Anfänger wissen nun: Während sich der eine akustisch wie ein hyperaktiver Jugendlicher an einer Sony-Playstation gebärdet, tönt der andere wie ein gleichmäßiges Metronom. Der optisch ebenfalls ähnliche Rohrschwirl hält hingegen einen monotonen Triller, minutenlang.

Ein ebenfalls recht häufiges Bild an den Feuchtwiesen rund um Illmitz: ein Kiebitz auf Futtersuche.
Foto: Thomas Walkner

Solche Vogelbestimmungen kann man einfach nur aus Freude an der Sache machen und zur entspannenden Schärfung der eigenen Sinne in der Natur. Und tatsächlich stellt sich selbst zu so früher Morgenstunde schon eine gewisse Faszination für die gefiederten Freunde ein. Profis wie Christoph Roland, aber auch ambitionierte Amateure können auf diese Weise Kartierungen machen, die genaue Auskünfte über Bestandsentwicklungen geben. Die sind nicht zuletzt deshalb wichtig, weil Vögel sogenannte Zeigerarten sind: Aufgrund ihrer Mobilität geben sie besser als Amphibien oder Säugetiere darüber Aufschluss, wie gut es um den jeweiligen Lebensraum ökologisch bestellt ist.

Weniger Vögel, mehr Ornis

Dank Apps wie NaturaList können mehr oder weniger fortgeschrittene Vogelbeobachter ihre Sichtungen aber auch ganz einfach über das Smartphone melden. Diese Form von ornithologischer Bürgerwissenschaft oder neudeutsch Citizen Science hilft den Experten des Vereins BirdLife beim Monitoring der Bestandsentwicklungen.

Während in den vergangenen Jahren vor allem die Vogelpopulationen in landwirtschaftlich genutzten Gebieten stark abgenommen hat, stieg die Zahl der Ornis stark an. BirdLife hatte 2010 rund 4000 Unterstützer, acht Jahre später beträgt ihre Zahl 7200, davon sind 4100 Mitglieder und 3100 regelmäßige Spender. Ähnlich entwickelten sich die Zahlen beim von Birdlife organisierten Citizen-Science-Projekt "Stunde der Wintervögel", an dem zu Projektstart rund 6000 Personen teilnahmen. Heuer waren es über 10.000. Und auch die Zahl der Birder, die regelmäßig ihre ornithologischen Beobachtungen melden, verdoppelte sich seit 2015 auf rund 1400.

61 Arten in vier entspannten Stunden

Zu dieser erfreulichen Entwicklung hat gewiss auch das Austrian Birdrace beigetragen, das am 5. und 6. Mai zum 15. Mal österreichweit stattfinden wird und 24 Stunden lang dauert – während das Birdrace am Neusiedler See im Rahmen der Bird-Experience schon nach vier Stunden wieder zu Ende war. Das Profiteam mit dem wissbegierigen Anfänger als Klotz am Bein schaffte in dieser knappen Zeitspanne immerhin 61 unterschiedliche Vogelarten.

Das reichte für keinen vorderen Platz. Für den Sieg in Illmitz wären stolze 91 Arten nötig gewesen, für Platz zwei auch noch 90 – der Seewinkel ist, was mit diesen Zahlen wieder einmal zu beweisen war, nicht umsonst österreichischer Hotspot für Vögel und ihre Beobachter aus nah und fern. Geschlagen wurde immerhin das Team "Hangover", das aus drei jungen Nationalpark-Guides bestand und freilich zwei nicht ganz geringe Handicaps hatte: Für sie hatte die Teilnahme an der Bex-Party zwei Stunden von Birdrace-Beginn geendet. Und um acht Uhr mussten sie das Rennen abbrechen, weil sie die nächsten Exkursionen leiten mussten.

Dabeisein ist fast alles

Es geht beim Birdrace natürlich auch nicht um das Gewinnen, und Ehrgeiz ist unter den Teilnehmern nur wenig ausgeprägt, Dabeisein – und die Freude am Vogelbeobachten – ist dagegen fast alles. Auch das ist nach vier Stunden und gut 15 geradelten Kilometern keine geringe Lektion.

Außerdem hat der ornithologische Novize in den drei Tagen bei der Bex erstmals Kuckucke nicht nur gehört, sondern auch beobachtet, zahllose weitere Spezies mit Auge und Ohr wahrgenommen und dank großartiger Vogelpädagogen überhaupt ziemlich viel über Mensch und Natur dazugelernt.

Und das als Eule, die nun doch auch ein wenig vom Vogelvirus infiziert ist. (Klaus Taschwer, 27.4.2018)