Der Autor Thomas Rammerstorfer beschäftigt sich schon lange mit der Entwicklung des türkischen Rechtsextremismus.

Foto: Katharina Gusenleitner

Thomas Rammerstorfer
Graue Wölfe

Türkische Rechtsextreme und ihr Einfluss in Deutschland und Österreich
Lit-Verlag, 19,90 Euro
In Kürze im Buchhandel erhältlich

Foto: LIT-Verlag

Ein Mann stellt sich auf einen Granitblock im Weiheraum der Gedenkstätte des ehemaligen Konzentrationslagers in Mauthausen. Er streckt seinen linken Arm straff in die Höhe und legt seinen Mittel- und Ringfinger auf die Spitze seines Daumens. Der Zeigefinger und der kleine Finger stehen gerade ab.

Seine Hand soll das Gesicht eines Wolfs symbolisieren. Es ist der Gruß türkischer Faschisten, den der Mann zu erkennen gibt. Diejenigen, die damit etwas anzufangen wissen, erkennen die Botschaft. In der türkischen Community versteht das jeder.

Das war 2016. Der Mann, Funktionär des Linzer Vereins Avrasya, brachte seiner Organisation einen ordentlichen Wickel ein: Die bis dahin wohlgepflegten Kontakte mit der Linzer Sozialdemokratie wurden erst einmal auf Eis gelegt. Davor durften Graue Wölfe wie er beim Festumzug der SPÖ Linz am 1. Mai mitmarschieren, der Linzer Bürgermeister Klaus Luger (SPÖ) grüßte sie beim Einmarsch am Hauptplatz. Für ein Fest wurde ihnen gar das Linzer Rathaus zur Verfügung gestellt, der Verein hatte einen Sitz im Linzer Integrationsbeirat.

Immer wieder werben Parteien auch im türkisch-nationalistischen Milieu. Zumeist geht es um Zugang zur türkischen Community und Wählerstimmen, die man sich dadurch erhofft. Ungefähr 270.000 Menschen in Österreich haben einen türkischen Migrationshintergrund.

Ein Funktionär des Vereins Avrasya hebt die Hand zum Wolfsgruß in der Gedenkstätte des ehemaligen KZ Mauthausen, Oberösterreich.
Foto: Facebook/alpaslanMH

Linke, Juden und Kurden als Feinde

Auch die Grauen Wölfe, eine rechtsextreme Bewegung aus der Türkei, werben um die Sympathie der Community. Ihr Ziel ist ein Großreich, in dem alle Turkvölker vereinigt sind – vom Balkan bis nach China. Sie vertreten ultranationalistische Positionen.

Die auserkorenen Feinde sind zahlreich. Es sind Juden, Kurden, Armenier, Homosexuelle und Kommunisten; als Feindbilder fungieren die USA und Israel. Ihr parlamentarischer Ableger in der Türkei ist die MHP. Ihre Zeichen sind drei nebeneinander stehende Cs und der graue Wolf im Halbmond. Den Grauen Wölfen werden in der Türkei mehrere tausend Morde bis in die 1980er-Jahre hinein zugerechnet.

In Österreich wiederum agiert die Türkische Föderation (ATF) als Außenstelle der MHP. Sie hat ungefähr 25 Vereine und Subvereine unter ihren Fittichen, schätzt Autor Thomas Rammerstorfer, der in seinem in Kürze erscheinenden Buch "Graue Wölfe. Türkische Rechtsextreme in Deutschland und Österreich" die Umtriebe der Rechtsextremen dokumentiert.

Darunter sind auch Moscheen, die vielfach als soziale Treffpunkte fungieren und nicht klar von Kulturvereinen abgegrenzt werden können, sagt Rammerstorfer. Die Wochenzeitung "Falter" veröffentlichte kürzlich Bilder aus diesen Moscheegebäuden, auf denen Kinder zu sehen waren, die ihre Hände in die Höhe recken und zum Wolfsgruß formen.

Immer wieder werden Konzerte und große Veranstaltungen organisiert, die oft mehrere Hundert Besucher anziehen, etwa 2016 in Ried oder 2017 in Hohenems.

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Jugendliche Unterstützer der MHP bei einer Demonstration in Istanbul.
Foto: REUTERS/OSMAN ORSAL

Offene Grenzen

Der MHP-Ableger Türkische Föderation ist jedoch nur ein Teil jener Vereine, die sich um die Mitglieder der türkischen Community bemühen. Ein größerer ist Atib, ein Verein, der ebenfalls Moscheen betreibt, direkt mit dem Türkischen Amt für Religion verbunden ist und somit mehr oder weniger auf Linie mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan und seiner Partei AKP steht.

Atib selbst behauptet, 100.000 Mitglieder zu haben. Selbst mit großzügiger Schätzung käme man auf maximal 10.000, sagt hingegen Experte Rammerstorfer, der die Zahlen für Propaganda hält, die auch die Rechten und der Boulevard nur zu gern übernehmen würden.

Die Grenzen zwischen diesen Vereinen verschwimmen zusehends, sagt Rammerstorfer: Während die MHP in der Türkei mittlerweile offiziell Erdoğan unterstützt und sich immer mehr dem Islam zuwendet, entdeckte die AKP über die letzten Jahre immer mehr ihre nationalistischen Adern. Diese Entwicklung spiegelt sich auch in ihren österreichischen Ablegern wider. Diese sind zwar immer noch organisatorisch getrennt, ihre jeweiligen Spitzen weisen jedoch "kaum mehr ideologische Unterschiede" auf, sagt Rammerstorfer.

JKomplettes Durcheinander

"Für mein Volk, voller Ehre, voller Stolz / Trag die Fahne durch die Welt, Halbmond im Blut", rappt Osun Baba. Der Deutsche mit türkischem Migrationshintergrund macht "Bozkurt"-Rap. Würde man es übersetzen, hieße es "Grauwolf"-Rap.

Davon gibt es viel auf Youtube, in unterschiedlichen Spielarten. Die meisten Videos sind schlecht produziert. Das ist aber egal, weil es selten um die Musik, sondern eher um die Botschaft geht. Was die meisten eint, ist der Hass auf die PKK und der Traum davon, für ein großtürkisches Reich zu kämpfen.

Man muss unterscheiden zwischen den nach wie vor stramm organisierten "alten Wölfen", die einen Hufeiseinbart tragen und in der Türkischen Föderation aktiv sind, und den jugendkulturell geprägten Subkulturen, die sich im erweiterten Milieu bewegen, sagt Rammerstorfer.

Sie tragen Kapuzenpulli mit dem Aufdruck eines Wolfs im Halbmond oder posten Verschwörungstheorien in sozialen Medien. Vor allem diese Gruppe ist es, die in den letzten Jahren stark an Popularität gewonnen hat. Ideologisch rutscht das teilweise ins Indifferente ab, erklärt Rammerstorfer: Man bezieht sich auf alles, was Stärke symbolisiert. Egal ob das "die Osmanen" sind oder Atatürk: "Das ist ein komplettes Durcheinander." Verschwörungstheorien, die ständig eine Bedrohung von außen inszenieren, tun ihr Übriges.

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Ein Unterstützer schwenkt die Fahne der MHP, aufgenommen in Istanbul im Jahr 2015.
Foto: REUTERS/OSMAN ORSAL

Bis heute bestehen enge Verbindungen zu kriminellen Milieus, sagt Rammerstorfer. Im österreichischen Suchtmittelbericht 2009 tauchen die Grauen Wölfe etwa als Gruppe im Zusammenhang mit Heroingroßhandel auf.

2017 stellte der ehemalige grüne Nationalratsabgeordnete Karl Öllinger eine parlamentarischen Anfrage an den damaligen Innenminister Wolfgang Sobotka (ÖVP) zu den Aktivitäten der Grauen Wölfe. Öllinger wollte zum Beispiel wissen, wie viele Anzeigen nach dem Verbotsgesetz oder wegen Verhetzung es gegen Personen aus dem Dunstkreis der Grauen Wölfe in den letzten zehn Jahren gegeben hatte. Die Antwort: Entsprechende Statistiken werden nicht geführt.

Auf die Frage, warum die Grauen Wölfe und ihre Organisationen in Österreich nicht wie in mehreren deutschen Bundesländern unter ständiger Beobachtung des Verfassungsschutzes stehen, antwortete das Innenministerium folgendermaßen: "Für die generelle Überprüfung oder Überwachung von Vereinen durch die Sicherheitsbehörden besteht keine Rechtsgrundlage." Die Sicherheitsbehörden hätten nur bei entsprechender Verdachtslage tätig zu werden.

Kürzlich hat der grüne Bundesrat David Stögmüller wieder eine Anfrage an das Innenministerium zu betreffendem Thema eingebracht und will etwa wissen, ob der Verfassungsschutz die Grauen Wölfe als terroristische oder extremistische Bewegung einstuft. Die Antwort steht noch aus.

Radikalisierte Minderheit

Gefährlich werden die Grauen Wölfe für den österreichischen Durchschnittsbürger nicht, sagt Rammerstorfer. Die weitaus größere Gefahr gehe immer noch vom "autochthonen Rechtsextremismus" aus.

Für türkische Jugendliche aber sehr wohl: einerseits weil sie ihre Propaganda erreichen könnte, andererseits weil sie Andersdenkende einschüchtern. Schon jetzt herrsche ein "Klima der Angst", erzählt Rammerstorfer. "Kaum ein Mensch in der türkischen Community traut sich mehr, den Mund aufmachen." Die Gefahr ist zu groß, dass man bei der nächsten Einreise in die Türkei Probleme bekommt.

Das Mobilisierungspotenzial der Grauen Wölfe bewege sich hierzulande bei "einigen Tausend", sagt der Autor. Und da sind auch die Sympathisanten schon eingerechnet. Das ist eine klare Minderheit. Aber: "Minderheiten können einen Beitrag zur Radikalisierung leisten." (Vanessa Gaigg, 4.5.2018)