Familientherapeut, Autor und STANDARD-Kolumnist Jesper Juul.

Foto: family lab

Diese Serie entsteht in Kooperation mit familylab Österreich.

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Frage

Ich brauche dringend Rat in einer sehr ernsten Situation in unserer Familie. Was mich dabei am meisten beschäftigt, ist die Frage, was wichtiger ist: Die Sicherheit unserer Kinder (zwei Buben im Alter von elf und 16 Jahren) oder meine persönlichen Interessen und Bedürfnisse.

13 Jahre lang lebten wir gemeinsam in Mexiko. Aufgrund der immer schwieriger werdenden wirtschaftlichen Situation und auch der sich verschlechternden Sicherheitslage kehrten meine Söhne und ich vor drei Jahren nach Österreich zurück. Seither wohne ich mit unseren Kindern in Europa und arbeite ganztags, während mein Mann in Mexiko geblieben ist.

Mein Mann ist Mexikaner und lebt aufgrund seiner Arbeit in seinem Heimatland. Er liebt seinen Job und ist nicht bereit, woanders eine Arbeit zu suchen.

Ich selbst möchte wieder zurück nach Mexiko. Einerseits weil ich meinen Mann sehr vermisse und wir unser Leben miteinander verbringen wollen. Andererseits weil ich dort als Bildhauerin und Künstlerin arbeiten könnte. Hier in Österreich ist das nicht möglich.

Mit unseren Burschen habe ich über die Situation bereits gesprochen. Sie wollen nicht mehr zurück. Denn aus ihrer Sicht können sie in Mexiko nicht so frei leben wir hier, sowohl in der Schule als auch in der Freizeit.

Nun stelle ich mir natürlich die Frage, ob mein persönliches Glück und die gemeinsame Zukunft mit meinem Mann wichtiger ist als die durchaus sehr verständlichen Argumente meiner Kinder. Können Sie mir vielleicht eine Idee für einen neuen gedanklichen Weg geben?

Antwort

Ich kann den Ernst Ihres Dilemmas verstehen und weiß auch, wie schwierig es ist, damit umzugehen. Es ist grundsätzlich schon schwer genug, so wenig wie möglich Moral in eine Sache oder Überlegung zu mischen. Das Leben in einer bikulturellen Ehe macht es nicht leichter. Ob wir wollen oder nicht, es bedeutet fast immer große Opfer für beide Parteien. Ich schreibe deshalb "wir", weil ich selbst viele Jahre in dieser Lage war.

Der Lösungsansatz liegt in der ganzen Familie. Die Entscheidung und Verantwortung selbst liegt ganz allein bei Ihnen. Mein Vorschlag ist, dass sich die ganze Familie eine Woche lang täglich trifft. Bei diesem Treffen hat jeder die Möglichkeit all seine Meinungen und Gedanken zu äußern, ohne von jemand anderen unterbrochen zu werden. Es gibt dabei zwei Fragen, die jeder beantworten muss: Was ist das Beste für mich und was ist das Beste für die ganze Familie?

Offener Prozess

Egal, wie sicher oder unsicher die Familienmitglieder sind, der Prozess, der entsteht, wird Eindruck machen, und die Ansichten werden sich ändern. Niemand weiß zum jetzigen Zeitpunkt, in welche Richtung.

Wenn Sie spüren, dass alles gesagt und hervorgehoben wurde, ist es die Aufgabe der Eltern, eine Entscheidung zu treffen. Das geschieht am besten im selben Forum, also auch im Beisein Ihrer beiden Söhne. Sobald Sie die beste Entscheidung getroffen haben, brauchen alle Parteien ein oder zwei Tage, um über das Ergebnis zu sprechen und auch nachzudenken. Danach trifft sich die Familie wieder. Ungeachtet des Ergebnisses wird die Entscheidung allen Traurigkeit und Verlustgefühle bereiten. Auch das braucht Zeit, eine individuelle Überprüfung und gemeinsames Besprechen.

Wichtig dabei zu wissen ist, dass der Prozess das Entscheidende ist. Wie Sie das gestalten, ist das Geschenk an Ihre Söhne und an Sie selbst. Sie werden vielleicht überrascht sein, was Sie gegenseitig von sich erfahren und lernen. Gutes Gelingen! (Jesper Juul, 29.4.2018)