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Versuchstier der Neurophysiologen aus Oxford: die Fruchtfliege.

Foto: Picturedesk

Der Mensch trifft täglich unzählige Entscheidungen; sie prägen ihn und bestimmen sein Verhalten. Gelegentlich agiert er impulsiv, in vielen Fällen entscheidet er aber nach längerem Nachdenkprozess, indem er Belege für und wider die möglichen Alternativen sammelt. Wo und wie im Gehirn dieses Beweismaterial gesammelt und erwogen wird, ist unklar. Einem Team von Neurophysiologen der University of Oxford rund um den österreichischen Wissenschafter Gero Miesenböck sind nun Einblicke in die biophysikalischen Grundlagen der Entscheidungsfindung gelungen.

Die Forscher hatten schon vor einigen Jahren etwa 200 Nervenzellen im Gehirn einer Drosophila melanogaster als entscheidungsrelevant identifiziert. Das als Fruchtfliege bekannte Insekt hat etwa 100.000 Nervenzellen im Gehirn, der Mensch zum Vergleich etwa 86 Milliarden. Die Identifizierung der Zellen gelang im Experiment. Die von Gerüchen geleiteten Fliegen mussten sich zwischen zwei Kammern entscheiden, die unterschiedlich dufteten. Waren die Duftmischungen sehr ähnlich, dann brauchten die Fliegen lange, um sich für eine Kammer zu entscheiden.

In einer aktuell im Fachmagazin Cell publizierten Arbeit untersuchten die Forscher, was physiologisch die Entscheidung der Fruchtfliege steuert. Der aus Graz stammende Hauptautor, Lukas Groschner, erzählt, dass man den Schlüssel zur Lösung der Fragestellung über ein genetisch verändertes Nervensystem bei einer Fliege entdeckte, die sich als entscheidungsschwach erwies.

Defekt im Gen

Dieses Tier hatte einen Defekt im Gen für den Transkriptionsfaktor FoxP, der in den 200 entscheidungsrelevanten Nervenzellen aktiv ist. Groschners Arbeit zeigte, dass diese Neuronen die zu einer Entscheidung nötigen Informationen als kleine Spannungsänderungen in ihren Zellmembranen sammeln und speichern. Erreicht die Membranspannung einen kritischen Schwellenwert, kommt es zu einer explosiven Entladung: Die Entscheidung ist getroffen. Das genetische Regulationsmolekül FoxP bestimmt, wie rasch sich die Membranspannung dem Schwellenwert nähert, indem es einen für diesen Prozess zuständigen Ionenkanal in den Nervenzellen reguliert.

Zu viel des Kanals führt zu eine Art Leck in der Zellmembran, und dadurch zu einer entscheidungsschwachen Fliege. Fliegen besitzen ein einziges FoxP-Gen; beim Menschen gibt es vier Varianten. Defekte bei zwei dieser menschlichen Varianten beeinträchtigen die allgemeine Intelligenz und das Sprachvermögen. Obwohl dies auf gemeinsame Mechanismen hindeuten könnte, meint Groschner nicht, dass menschliche Entscheidungsschwäche generell auf eine genetische Veränderung von FoxP zurückzuführen sei. "Das ist viel zu weit hergeholt."

Der junge Wissenschafter hat nach dem Medizinstudium in Graz im Labor von Miesenböck dissertiert, der mit einer grundlegenden Publikation im Jänner 2002 die Prinzipien der Optogenetik etablierte. Groschners nächster Schritt: das Max-Planck-Institut für Neurobiologie in München. (Peter Illetschko, 26.4.2018)