Der Alltag der Balinesen wird nicht nur geprägt, sondern regelrecht bestimmt von ihrem Glauben – von der Geburt bis zum Tod. Die Hindu-Dharma-Religion, der der Großteil der Bevölkerung angehört, ist die balinesische Form des Hinduismus. Nicht nur jedes Dorf, sondern auch jedes Haus hat drei Tempel, und jeder einzelne ist für bestimmte Zwecke und Rituale vorgesehen. Den Glauben der Balinesen wirklich zu verstehen und alle Gebräuche und Zeremonien zu kennen – das scheint für Außenstehende schier unmöglich.

Pura Tirta Empul ist aufgrund des heiligen Quellwassers eine der wichtigsten Tempelanlagen Balis.
Foto: Alexandra Eder

Um es zu vereinfachen: Die Lebensphilosophie, der die Balinesen folgen, trägt den Namen "Tri Hita Karana", was übersetzt so viel heißt wie "Die drei Wege zum Glück". Im Mittelpunkt steht dabei das Streben nach Harmonie und Balance, also nach einer ausgeglichenen Beziehung zwischen dem übernatürlichen Sein, den Menschen und der Natur.

Aus Gegensätzen wird Harmonie

Außerdem sieht man auf Bali oft Tänze oder Muster, die Gegensätzlichkeiten darstellen. Beispielsweise werden schwarz-weiß-karierte Tücher um Bäume gewickelt, um die guten wie auch die bösen Geister, die darin ruhen, in Balance zu bringen. Weiß steht für das Leben, schwarz für den Tod. Der Glaube der Balinesen besagt, dass Harmonie entsteht, wenn zwei sich widersprechende Dinge zusammengeführt werden.

Die Wurzeln und Äste des größten Banyan-Baumes Balis sind mit schwarz-weißen Stofftüchern umwickelt.
Foto: Alexandra Eder

Was das Buch und später der Film „Eat Pray Love“ nach Bali gebracht haben, sind in erster Linie jede Menge Touristen. Julia Roberts begibt sich in der sentimentalen, leicht schnulzigen und idealisierten Verfilmung von Elizabeth Gilberts Bestseller nach Italien, Indien und Bali, um zu sich selbst zu finden.

Auch wenn der Film nicht meinen Geschmack getroffen hat: Wieso sollte es nicht wirklich stimmen, dass man auf Bali Balance und Ausgeglichenheit finden kann? Immerhin ist man umgeben von Menschen, die ihr ganzes Leben einer Religion widmen, deren höchstes Ziel die Harmonie ist. So weit, so gut.

Kein Mythos: Die Reisfelder in Ubud sind tatsächlich genauso schön wie im Film.
Foto: Alexandra Eder

Warum Bali?

Es ist nur eine kleine Insel im indischen Ozean und doch zieht es Menschen aus der ganzen Welt hierher. Ich selbst bin nicht nach Bali gekommen, um meine innere Mitte zu finden, sondern um die Chance des STANDARD zu ergreifen, hier das Leben als digitale Nomadin auszuprobieren. Ich habe mich meiner inneren Mitte auch weder groß angenähert, noch entfernt, muss ich zugeben.

Dennoch interessiert mich, wie die Leute um mich herum empfinden, die es aus ihrer Heimat nach Bali gezogen hat. Für sie muss es ebenfalls einen guten Grund gegeben haben, genau diese Destination auszuwählen – abseits von dem guten Wetter und dem wahrscheinlich besten Wlan in Südostasien. Sind sie hierhergekommen, um Ruhe zu finden? Und was haben sie tatsächlich gefunden? Was macht Bali für sie so besonders? Ich habe mich umgehört.

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Carmen wollte eigentlich nur für einen begrenzten Zeitraum nach Bali kommen, doch die Insel hat es der Österreicherin angetan. Mittlerweile lebt und arbeitet sie seit neun Monaten in dem Surf-Hotspot Canggu. 

Die 27-jährige Österreicherin arbeitet als Health Coach und Yoga Trainerin auf Bali.
Foto: Carmen Reiter

Was hat dich nach Bali verschlagen? 

Carmen: Ich bin in erster Linie für mein Yoga-Teacher-Training hierher gekommen. Dass mich das dermaßen verändern und ich danach nochmal hierher zurückkehren würde, hätte ich selbst nie gedacht. Viele glauben, ich habe hier "Dauerurlaub", doch es ist gar nicht so einfach, sich auf dieser Insel ein normales Leben aufzubauen. Aber es zahlt sich aus. 

Was ist für dich das Besondere an Bali? 

Carmen: Ich bin einfach überwältigt von Bali, vor allem von den Menschen. Was mich fasziniert ist die Freundlichkeit, mit der die Menschen dir begegnen. Für mich sind es die Kleinigkeiten, die den Unterschied ausmachen: Sie merken sich deinen Namen, sie merken sich dein Gesicht, selbst wenn du ein paar Monate weg bist. Hier macht sich keiner Gedanken darüber, ob er schön genug oder reich genug ist. Und ich selbst merke immer mehr, dass für mich das Materialistische nicht mehr so einen hohen Stellenwert hat.
Bali erfüllt allerdings nicht nur das Klischee von lächelnden Menschen, Sonne, Strand, Meer, Avocados und Kokosnüssen. Ich bin zutiefst schockiert vom Bildungswesen, vom Umgang mit Tieren, von den politischen Verhältnissen. Ich habe die Insel mit allen Höhen und Tiefen erlebt – von Parasiten bis zu Mopedunfällen, ich bin auf der Straße zusammengenäht worden – es war wirklich alles dabei. 

Und trotzdem bist du geblieben? 

Carmen: Alle negativen Dinge, die ich erlebt habe, werden für mich durch den menschlichen Aspekt ausgeglichen. Es ist schwer in Worte zu fassen und selbst wenn mich Freunde besuchen kommen: Ich kann ihnen mein Leben zeigen und wie alles hier abläuft, aber auch das erklärt noch nicht alles. Es lebt sich auf Bali einfach besser, weil man einen klaren Blick auf das Leben bekommt. Ich kann jedem nur ans Herz legen, einmal hierher zu kommen – sich dafür aber Zeit zu nehmen und Dinge einfach zuzulassen. 

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Er schreibt an seiner Doktorarbeit, leitet eine Marketing-Agentur und hat eine App für das Qualitätsmanagement im Bauwesen entwickelt. Rui ist nicht nur in Portugal umtriebig. Bei einem Mittagessen erzählt mir der 27-Jährige, warum er gerade Bali gewählt hat, um hier zwei Monate als Digital Nomad herumzupilgern. 

Rui ist im Bereich Marketing und Bauwesen tätig – seinen Laptop hat er immer mit dabei.
Foto: Alexandra Eder

Warum hast du Bali für deinen Remote-Work-Aufenthalt gewählt? 

Rui: Um ehrlich zu sein war Bali nicht meine erste Wahl. Ich fühle mich in Südamerika sehr wohl, die Kultur dort ist meiner sehr ähnlich. Deshalb war das auch mein erster Impuls. Ich hab das dann aber alles wieder verworfen, weil ich meine Komfortzone dort nicht verlassen hätte. Deshalb habe ich mich für Südostasien entschieden. 

Was hast du dir davon erwartet? 

Rui: Mein Ziel ist es, mein Leben aus einer ganz anderen Perspektive zu betrachten. Zuhause hast du deine Routine, dein gewohntes Umfeld, und so ändern sich auch die Gedanken und Blickwinkel nicht. Das war der Grund für mich, nach Bali zu kommen. 

Und hat es funktioniert? 

Rui: Ich glaube, dass ich diese Frage erst richtig beantworten kann, wenn ich zurück nach Portugal komme und das Ganze mit ein wenig Abstand betrachten kann. Erst dann werde ich den Unterschied merken. Was ich aber jetzt schon festgestellt habe, ist, dass ich um einiges ruhiger geworden bin, seit ich hier bin. Ich bin umgeben von Leuten, die keinen Druck auf mich ausüben, die einfach gelassen sind. Ich bin hier quasi gezwungen, geduldig zu sein – die Uhren ticken einfach anders. Man kann gar nicht gestresst sein, nach ein paar Tagen gibt man den Stress auf. Denn damit kommt man hier nicht weit.

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Noemi lebt seit neun Jahren in Dubai, wo die gebürtige Spanierin als Costumer Service Coordinator und im Business Improvement tätig ist. Nach Bali hat sie keine Arbeit, dafür Yogamatte, Laufschuhe und jede Menge Energie mitgenommen. 

Die 42-jährige Spanierin Noemi ist nicht zum ersten und bestimmt nicht zum letzten Mal auf Bali.
Foto: Alexandra Eder

Wieso bist du ausgerechnet nach Bali gekommen?
 
Noemi: Ich habe zu Bali eine spezielle Verbindung, ich war schon zweimal hier und habe mir geschworen, wiederzukommen. Das ist mein "happy place". Ich wollte keine riesige Veränderung, dafür hätte ich wahrscheinlich eine Destination wie zum Beispiel Nicaragua gewählt. Ich wollte mich einfach wohlfühlen.  
 
Kannst du das ein bisschen genauer erklären?
 
Noemi: Ich fühle mich einfach ganz anders als sonst, ich bin zufrieden. Ich bin quasi eine bessere Version meines selbst, wenn ich hier bin. Im Gegensatz zu Dubai lächeln die Menschen auf Bali. Dubai ist ein Ort, an dem die Leute sehr reich sind, den ganzen Tag nichts Anderes tun als konsumieren, aber dadurch nicht glücklicher werden. Dann komme ich hierher und sehe das komplette Gegenteil: Die Menschen sind zufrieden, obwohl sie keinen großen Besitz haben. Ihre Lebensweise ist so anders – und ich will Teil davon sein, denn das gibt mir Energie, Kraft und Glück.

Könntest du dir dann auch vorstellen, deinen Lebensmittelpunkt hierher zu verlegen? 

Noemi: Nein, nicht für immer. Mein Traum wäre es, jedes Jahr drei bis vier Monate hier zu verbringen, um meine Batterien aufzuladen. Ich würde gerne ein Yoga-Studio eröffnen oder eine kleine Pension. Wenn alles läuft und ich Angestellte finde, auf die ich mich verlassen kann, könnte ich immer wieder kommen und gehen. Ich würde einfach nicht auf Dinge verzichten wollen wie zum Beispiel ab und zu in die Oper zu gehen. Das wäre also die optimale Lösung – mal sehen, ob daraus was wird. 

Lehrreiche Begegnungen

Ich habe mit sehr unterschiedlichen Menschen gesprochen – sei es nun in Bezug auf den Bereich, in dem sie tätig sind, ihre Herkunft, ihre Ziele oder ihre Charaktere. Doch eine Gemeinsamkeit hat sich schnell herauskristallisiert: Sie alle lernen von den Einheimischen achtsam und gelassen zu sein, sie nehmen die Lebensfreude und Schlichtheit an. Warum auch immer es jemanden nach Bali verschlagen sollte und bei allen Problemen und Missständen, die es hier gibt – von den Menschen auf dieser Insel kann man eine Menge lernen. (Alexandra Eder, 4.5.2018)


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Hinweis: Die Bloggerin wurde nach einer Bewerbungsphase auf Einladung von DER STANDARD in den Coworking-Retreat geschickt. Sie berichtet zweimal pro Woche über ihre Erfahrungen, ihre persönlichen Eindrücke, das Leben von digitalen Nomaden und das Arbeiten in einem Schwellenland. Die Aktion wird in Zusammenarbeit mit der Firma Unsettled durchgeführt. Die inhaltliche Verantwortung liegt zur Gänze beim STANDARD.