"Leute riefen mich an und sagten mir Sachen wie: 'Ich bin Konzernanwalt und weiß haargenau, dass mein Beruf sinnloser ist als sinnlos'": David Graeber hat mit seiner These von der massenhaften Verbreitung vollkommen inhaltsleerer Jobs einen Nerv getroffen.

Foto: Annette Hauschild

"Leute riefen mich an und sagten mir Sachen wie: ,Ich bin Konzernanwalt und weiß haargenau, dass mein Beruf sinnloser ist als sinnlos'": David Graeber hat mit seiner These von der massenhaften Verbreitung vollkommen inhaltsleerer Jobs einen Nerv getroffen.

Ohne den "East Coast Vision Managern" des Softwarekonzerns XY unter den Lesern nahetreten zu wollen: Wenn Sie East Coast Vision Manager des Softwarekonzerns XY sind, haben Sie vermutlich ein Problem. East Coast Vision Manager, meint der US-Anthropologe und Anarchist David Graeber, das klingt nicht nur nach Bullshit-Job, sondern es ist mit größter Wahrscheinlichkeit auch einer.

Ein Missverständnis gilt es gleich vorweg auszuräumen: Keineswegs ist ein Bullshit-Job das Äquivalent dessen, was man auf Deutsch grob einen "Scheißjob" nennt, ein schmutziger und vielleicht gefährlicher Job mit schlechtem Sozialprestige und lausiger Bezahlung.

Nein, im Gegenteil: Bullshit-Jobs sind in der Regel gut dotiert und beeindrucken, wenn sie auf der Visitenkarte stehen. Ihr Pferdefuß ist, dass es sich bei ihnen um völlig nutz-, witz- und sinnlose Tätigkeiten handelt, die die Gesellschaft kein Jota nach vorne bringen. "Leute mit einem solchen Job sind sich so gut wie immer selbst im Klaren, dass der Welt nichts verlorenginge, wenn es ihren Job nicht mehr gäbe. Wenn man weiß, was ein Beruf für das Selbstwertgefühl der Menschen bedeutet, ist die massenhafte Existenz von Bullshit-Jobs eine Tragödie, eine Narbe auf unserer kollektiven Seele."

Quergeist

Der 1961 geborene, an der London School of Economics lehrende Graeber ist ein Quergeist, der gern gegen den Strich bürstet. Er hat nicht nur dem Bullshit-Job seinen Namen gegeben, sondern gilt auch als Erfinder des – inzwischen etwas außer Mode gekommenen – Kampfrufs "Wir sind die 99 Prozent" sowie als führender Kopf von Occupy Wall Street. Er hat Bücher über Hierarchien und Rebellionen geschrieben, über die Bürokratie sowie einen internationalen Bestseller über Schulden ("Schulden. Die ersten 5000 Jahre"; 2011, dt. 2013).

Sein jüngstes Buch über Bullshit-Jobs erscheint Mitte Mai auf Englisch, aber der Klett-Cotta-Verlag, der Graebers Werk auf Deutsch betreut, hatte bereits im Jänner eine Gruppe von Journalisten aus Deutschland, der Schweiz und Österreich an die Universität Oxford eingeladen, wo Graeber sein Opus präsentierte.

Begonnen hat alles 2013 mit einem Artikel für die Anarcho-Postille "Strikemag", in dem Graeber ein Phantombild der Bullshit-Jobs entwarf. Dabei nahm er Dienstleistungsberufe, die dem blanken Konsumerismus dienen – "Jobs, in denen man für 27 Sorten Mocca Latte oder Designersushi sorgt" -, aus seiner Definition heraus.

"Ich hatte mich damals nach der Publikation des Artikels für ein paar Wochen mit meiner Freundin in eine WLAN-freie Gegend auf dem Land zurückgezogen. Als ich zurückkam und in mein Handy schaute, war das Ding regelrecht explodiert. Ich glaube, binnen drei Wochen ist der Artikel in 17 Sprachen übersetzt worden. Leute riefen mich an und sagten mir Sachen wie: ,Ich bin Konzernanwalt und weiß haargenau, dass mein Job sinnloser ist als sinnlos.'" Busfahrer oder Krankenschwestern mögen ihren Job ebenfalls hassen, für sinnlos halten sie ihn sicher nicht.

Flunkies und Goons

Durch das enorme Feedback animiert, vertiefte Graeber seine Studien und ermittelte, dass es sich bei Bullshit-Jobs um ein Massenphänomen handelt. Bis zu 37 Prozent der gesamtgesellschaftlichen Workforce, meint Graeber, wüssten insgeheim, dass ihr berufliches Treiben völlig zwecklos ist, müssten dieses Wissen aber logischerweise für sich behalten. Als Graeber Arbeitgeber, die Bullshit-Worker beschäftigten, auf die Sinnlosigkeit von deren Jobs ansprach, reagierten diese regelmäßig zornig und empört.

Wenn Bullshit-Jobs aber keinen Sinn ergeben, warum existieren sie dann? Graeber erläutert dies am Beispiel eines Untertypus der Bullshit-Arbeiter, des "Flunky". Flunkies sind Kofferträger, Lakaien, deren einziger Sinn und Zweck darin besteht, Leute, unter denen sie arbeiten, wichtiger erscheinen zu lassen. "Je mehr Kulis einer hat, desto bedeutender wirkt er selber. Daher hat er keinerlei Antrieb, sich in seinem Betrieb oder Konzern seiner unnützen Untergebenen zu entledigen".

Besonders groß sei das Flunky-Aufkommen an den Universitäten in den USA und Großbritannien, wo sich die Anzahl der in der Verwaltung beschäftigten Staffer, ganz anders als bei den Lehrenden, im Lauf weniger Jahre verdreifacht habe. Dabei werde die Arbeitswelt auf den Kopf gestellt: "Eine wichtige Figur bekommt zuerst ihre Flunkies zugeteilt und überlegt erst nachträglich, wofür man sie verwenden könnte."

Ein anderer Typus des Bullshit-Arbeiters ist der "Goon": Der wird im Konzern X nur deshalb gebraucht, weil es im Konzern Y auch Goons gibt – so wie sich ein Land eine Armee nur deshalb hält, weil auch das Nachbarland eine Armee hat (klassische Goon-Beispiele sind Telemarketer oder Konzernanwälte).

Psychische Probleme

Andere Bullshit-Worker supervidieren Arbeitsprozesse, die ohne sie ebenso gut erledigt würden, kümmern sich um Probleme, die das Unternehmen ständig selbst erzeugt, oder evaluieren am laufenden Band irgendwelche Informationen in Dossiers oder Tabellen, ohne dass diese Evaluationsergebnisse jemals die geringste Konsequenz hätten.

Graeber hat für sein Buch 250 Fallstudien ausgewertet, an die er durch einen Aufruf an seine zehntausenden Twitter-Follower herangekommen ist. Keiner von all diesen Bullshit-Arbeitern habe sich auf den zynischen Standpunkt gestellt, dass es doch nichts zu klagen gebe, wenn man fürs Nichtstun auch noch bezahlt werde.

Vielmehr litten sie an allen möglichen psychischen Problemen bis hin zu handfesten Depressionen. "Das verrät uns viel über die menschliche Natur. So wie einem Kleinkind, das nur dann ein befriedigendes Selbstbild entwickeln kann, wenn es das Gefühl hat, dass es etwas bewirkt, indem es zum Beispiel einen Bauklotz bewegt, geht es auch dem Erwachsenen."

So gesehen sei es eine tragische Ironie, wenn unsere neoliberale Weltordnung, in der Effizienz angeblich das oberste Gebot ist, Unmengen von Jobs generiert, die nicht nur völlig ineffizient sind, sondern darüber hinaus den Menschen unglücklich machen. (Christoph Winder, 5.5.2018)