Der Krisenkolumnist war gerade eine Woche in China auf Reisen (nicht gleichzeitig mit der Bundesregierung, sondern kurz nach ihr). Als Begleitlektüre hatte ich mir ein neues Buch, Titel Die Chinesen, mitgenommen, in dem der deutsche Ex-Wirtschaftswoche-Chefredakteur Stefan Baron und seine aus Kanton stammende Gattin Guangyan Yin-Baron das "Psychogramm einer Weltmacht" entwerfen.

Völkerpsychologische Studien sind stets faszinierend und zugleich ob ihrer Tendenz zu Verallgemeinerungen mit Vorsicht zu genießen, aber die Barons haben ihre Aufgabe vorzüglich erledigt und ein kenntnis- und informationsreiches Buch verfasst.

Problematische Eigenschaften

Sie verweisen, neben sehr vielem anderen, auf das ganzheitliche und vernetzte Denken der Chinesen, auf ihren Familiensinn, ihren Respekt vor Bildung, dem Lehrberuf und dem Alter, aber auch auf Eigenschaften, die aus hiesiger Warte problematischer erscheinen. So führe etwa "die Gleichgültigkeit gegenüber Außenstehenden" dazu, dass im Vergleich zu chinesischen Metropolen "selbst als rüde bekannte westliche Städte wie Berlin oder New York verblassen".

Die Barons berichten auch (S. 184), dass sie in der Sun-Yatsen-Gedenkhalle in Kanton einst Konzertbesucher gesehen haben, die "in den vorderen Reihen Schuhe und Socken auszogen und ungeniert die Fußnägel schnitten".

Wieso eigentlich?

Nun müssten sich Konzertbesucher in Wien wahrscheinlich erstaunte oder sogar missbilligende Blicke gefallen lassen, wenn sie mit Nagelschere, Bimsstein und warmwassergefülltem Lavoir in die Staatsoper einrückten. Die Frage aber ist: Wieso eigentlich? Sitzen muss man in der Oper, außer auf den Stehplätzen, sowieso, daher wäre es im Sinne der Zeitökonomie günstig, wenn man Fußpflege und Kulturgenuss in einem Aufwaschen hinter sich bringen könnte. Auch nebenher im Sitzen rasieren, föhnen, toupieren und legen wäre möglich.

Natürlich müsste durch spezielle Vorkehrungen (Abschirmungen, Zusatzvorhänge etc.) dafür gesorgt werden, dass keine Fußnägel in den Orchestergraben fallen oder Anna Netrebko nicht von überhastig abgeschnittenen Hühneraugen getroffen wird.

Die Möglichkeit zur Staatsopernpediküre käme aber der Heimeligkeit des Hauses stark entgegen und würde auch einem proletarischen Publikum die Schwellenangst nehmen. Darüber sollte der designierte Direktor Roscic unbedingt einmal nachdenken. (Christoph Winder, 27.4.2018)