Immer, wenn es heißt, der Islam gehöre nicht zu Österreich, lässt der empörte Aufschrei von muslimischer Seite nicht lange auf sich warten.

Illustration: Felix Grütsch

Dass die Muslime sich in einer Krise befinden, ist nicht bloß der Befund einiger – vornehmlich im Westen beheimateter – Intellektueller, sondern es gilt mittlerweile als Konsens bis hinauf in die Führungsspitzen in den islamischen Ländern selbst; die Meinungen gehen lediglich darüber auseinander, wo die Ursachen derselben auszumachen sind. Während die einen die Vernachlässigung von Wissenschaft und Forschung sowie der darauf beruhenden wirtschaftlichen Entwicklung und damit das Ausbleiben nennenswerter Errungenschaften in diesen Bereichen anführen, sehen die anderen ihren Hauptgrund in der Abwendung vom wahren Islam.

Fatale Institutionalisierung

Derzeit scheint letztere Position Oberhand zu gewinnen und sich zunehmend strukturell in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft niederzuschlagen, was diese Krise auf fatale Weise in der Politik institutionalisiert. So wird denn, anstatt die verfügbaren Ressourcen darauf zu verwenden, politische Probleme zu lösen und zukunftsfähige Wirtschaftskonzepte zu entwickeln, mit Eifer darangegangen, Feinde des wahren Islams aufzuspüren, deren schädliche Umtriebe für die beklagenswerten Zustände verantwortlich seien.

Wer anderer Ansicht ist, wer es gar wagt, gegenüber diesem Vorgehen Kritik zu äußern, sieht sich geradewegs dem Verdacht ausgesetzt, ein Abtrünniger oder Vaterlandsverräter zu sein.

Mittlerweile ist diese Krise in Europa angekommen, und sie ist dabei, nicht nur neu zugewanderte, sondern auch autochthone Muslime, die seit Jahrhunderten in Europa – auf dem Balkan etwa – ansässig sind, zu erfassen. Was die Situation mit Blick auf die in Europa lebenden Muslime so beunruhigend macht, ist der Umstand, dass der institutionalisierte Charakter der Krise langsam, aber sicher auch hier in Form von professionell gesteuerten Strukturen um sich greift.

Ausländische Interventionen

Ehedem kaum organisierte soziale und religiöse Strukturen werden durch Intervention von Kräften aus dem Ausland nach und nach in bestimmte Bahnen gelenkt, mit dem Effekt, dass Muslime immer mehr Gründe zu nennen wissen, die Mitte der Gesellschaft zu meiden. Jegliches Verhalten, das den Erwartungen nicht entspricht, wird sehr schnell mit dem Vorwurf des Verstoßes gegen den Volkscharakter oder theologische Normen bedacht.

Als institutionalisierte Debatten zielen Auseinandersetzungen mit Themen wie Islamophobie, Kopftuch oder Halal-Vorschriften darauf ab, die erfolgreiche Integration der Muslime als zukunftsfähiges Konzept zu diskreditieren und dem Benachteiligungsnarrativ als alleiniger Wahrheit zum Durchbruch zu verhelfen. Insbesondere die jüngst aufgeflammten Diskussionen um ein Kopftuchverbot haben deutlich gemacht, dass es den Wortführern weniger um die sachliche Darlegung von Argumenten als viel mehr um das Anprangern der in der Gesellschaft bestehenden Muslimfeindlichkeit geht (zuletzt etwa in der Debatte um den im STANDARD erschienenen Essay Gudrun Harrers "Euer Islam ist nicht der einzige" geschehen, Anm. der Red.).

Dergestalt werden mit beträchtlichem agitatorischem und finanziellem Aufwand auch in Europa immer mehr Feinde des Islams identifiziert, gegen die es weitreichende Defensivstrategien zu entwickeln gelte.

Wie zwiespältig die Haltung innerhalb der islamischen Community hierzulande ist, zeigen die Reaktionen auf die jüngsten Vorkommnisse in einer Wiener Moschee (bei der Kinder in Tarnuniform die Schlacht von Gallipoli nachstellen mussten, Anm. der Red.). Selbstverständlich geben sich die meisten ihrer Mitglieder nach außen hin fassungslos – wiewohl ihnen derlei Veranstaltungen keineswegs unbekannt sein dürften, sind doch viele von ihnen regelmäßig dabei und spenden Beifall.

Überhaupt wissen diese Menschen bestens Bescheid, was in den Moscheen gepredigt wird, sie wissen um die Verherrlichung der osmanischen Eroberungen; es ist ihnen keineswegs unbekannt, welche Inhalte in den islamischen Kindergärten und -gruppen vermittelt werden oder welchen Organisationen die an den öffentlichen Schulen tätigen Religionslehrerinnen und Religionslehrer nahestehen; sie hören selbst, wie der Präsident der Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGiÖ), Ibrahim Olgun, für Schulen und Universitäten eines anderen Staates Werbung macht.

Sponsoring von Konflikten

Auch ist es ihnen kein Geheimnis, dass es Vereine gibt, die einen Teil der Förderungen an Instanzen überweisen, die diese dafür verwenden, Spannungen in den islamischen Ländern am Laufen zu halten – eine Ächtung durch die Community haben sie dennoch nicht zu befürchten.

Fast alle Vorstände der Religionsgemeinden, einschließlich des Präsidenten der IGGiÖ als Fachinspektor, werden vom Staat bezahlt. Finanziert durch die öffentliche Hand, wird an mehr als 3000 Schulen Religionsunterricht erteilt, über 700 Lehrerinnen und Lehrer haben die Möglichkeit, den ihnen anvertrauten Kindern zu einer selbstbewussten, stabilen Identität zu verhelfen. Ob die Muslime wohl bereit wären, den Ertrag dieser staatlichen Leistungen einer ehrlichen Evaluierung zu unterziehen und damit den eigenen Beitrag für die Gesellschaft sichtbar zu machen?

Der Islam und Österreich

Immer, wenn es heißt, der Islam gehöre nicht zu Österreich, lässt der empörte Aufschrei von muslimischer Seite nicht lange auf sich warten. Wenn es den Muslimen aber tatsächlich ernst damit ist, den Islam zu einem integralen Bestandteil der Gesellschaft werden zu lassen, warum treten sie dann nicht der politischen Einflussnahme aus dem Ausland entschieden entgegen? Warum setzen sie dann nicht alles daran, den Islam, den sie als Teil der österreichischen Kultur verankert wissen wollen, so zu prägen, dass er nicht mehr als fremd oder gar feindselig wahrgenommen wird?

Eine offene Debatte

Dazu bedürfte es freilich einer offenen Debatte, der die Einsicht zugrunde liegt, dass es den zu einer regelrechten Industrie angewachsenen Stichwortgebern in Sachen Islamophobie ganz und gar nicht um das Wohl der Muslime geht, dass deren Interesse schon eher der Etablierung eines Religionsverständnisses gilt, das die Isolation der Muslime in den jeweiligen Aufnahmegesellschaften befördert. Aus eben diesem Grund darf auch die Politik ihr Handeln nicht vom zufälligen Auftauchen von Bildern auf Facebook abhängig machen, vielmehr sollte sie aktiv auf aufgeklärte Muslime zugehen, um gemeinsam wirksame Konzepte zur Bewältigung dieser Krise zu entwickeln und pauschale Verurteilung der Muslime zu vermeiden. (Ednan Aslan, 27.4.2018)