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Trotz gesellschaftlicher Initiativen und politischer Maßnahmen hat sich an den Gehaltsunterschieden zwischen Männern und Frauen in den vergangenen 20 Jahren keine Verbesserung eingestellt. Mit einem Gender-Pay-Gap von über 20 Prozent, ist Österreich eines der Schlusslichter in der Europäischen Union.

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Jörg Flecker: "Arbeit und Beschäftigung – Eine soziologische Einführung", € 23,70 / 266 Seiten, Facultas, Wien 2017

Arbeit ist mehr als der Tausch von Lohn gegen Lebenszeit. Gemeinsam Ziele erreichen und von anderen Menschen Anerkennung erfahren, anders gesagt: am gesellschaftlichen Leben teilhaben – diese soziale Funktion von Arbeit gerät zunehmend aus dem Blick, sagt der Soziologe Jörg Flecker. Und so verfestigen sich Schieflagen in der Arbeitswelt mit teils wenig beachteten sozialen Folgen. Wie sich der österreichische Arbeitsmarkt in den vergangenen 20 Jahren im europäischen Vergleich entwickelt hat, haben Forscher der Universität Wien in einer umfassenden Studie untersucht, die dem STANDARD vorliegt und zu einigen überraschenden Ergebnissen kommt.

Zwar herrscht in der Öffentlichkeit der Eindruck vor, dass der Arbeitsmarkt immer stärker umkämpft ist. Tatsächlich zeigen die Daten, dass es in den vergangenen 20 Jahren in Österreich eine massive Ausweitung der Beschäftigung gegeben hat, wie Roland Verwiebe, Professor für Soziologie an der Universität Wien, betont. Gemeinsam mit Christina Liebhart hat er Mikrozensus-Daten, die vierteljährlich für rund 22.500 österreichische Haushalte erhoben werden, und andere nationale und internationale Statistiken ausgewertet.

513.000 Arbeitsplätze mehr

Demnach waren im Jahr 2016 4,1 Millionen Menschen in Österreich erwerbstätig, das sind 76 Prozent der Bevölkerung im Alter zwischen 15 und 64 Jahren. Verglichen mit 1996 gab es 513.000 Arbeitsplätze mehr, was eine Zunahme von 14 Prozent bedeutet. Die enorme Ausweitung von Beschäftigung in Österreich in den vergangenen 20 Jahren ist vor allem auf ein Phänomen zurückzuführen: Immer mehr Frauen gehen einer Berufstätigkeit nach. Verglichen mit Mitte der 1990er-Jahre gibt es heute 400.000 weibliche Beschäftigte mehr, das ist ein Anstieg um 50 Prozent. Mittlerweile sind heute 70 Prozent der Frauen im erwerbsfähigen Alter am Arbeitsmarkt aktiv, die Hälfte von ihnen arbeitet Teilzeit.

Was sich in den vergangenen 20 Jahren so gut wie nicht verbessert hat, sind die enormen Gehaltsunterschiede zwischen Männern und Frauen. Vergleicht man den Bruttostundenlohn, liegen Frauen Jahr für Jahr um mindestens 20 Prozent hinter den Männern. "Da hat sich im Grunde nichts verändert, trotz all der Diskussionen und Initiativen", sagt Verwiebe. In kaum einem anderen europäischen Land ist der Gender-Pay-Gap dermaßen stark ausgeprägt wie in Österreich.

Höhere Bildungsabschlüsse

Das ist umso überraschender, als junge Frauen mittlerweile im Durchschnitt mit einem höheren Abschluss das Bildungssystem verlassen als ihre männlichen Altersgenossen. Im Studienjahr 2000/2001 gab es erstmals mehr Hochschulabsolventinnen als Hochschulabsolventen in Österreich, aktuell liegt der Frauenanteil bei den Absolventen bei über 55 Prozent.

Dass Frauen dennoch weniger pro Stunde bezahlt bekommen, liegt zunächst darin begründet, dass sie vermehrt in Teilzeit tätig sind – 80 Prozent der Teilzeitjobs werden von Frauen übernommen. Diese sind im Durchschnitt pro Stunde schlechter bezahlt als Vollzeitanstellungen. Zudem sind viele Stellen, vor allem im höherqualifizierten Bereich, gar nicht als Teilzeitstellen verfügbar.

Frauen verpassen Aufstieg

Außerdem leisten Frauen immer noch das Gros der unbezahlten Betreuungs- und Erziehungstätigkeiten. Durch Karenzierungen verpassen Frauen häufig den Aufstieg in besser bezahlte Positionen. 2016 waren nur 3,7 Prozent der Frauen in Führungspositionen tätig – dem gegenüber stehen 8,1 Prozent bei den Männern.

Weiters wirken sich die unterschiedlichen Ausbildungsprofile von Männern und Frauen negativ auf das Gehalt von Frauen aus. An den Universitäten beispielsweise sind es vor allem die Mint-Fächer, die Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik umfassen, deren Absolventen mit den höchsten Bruttogehältern rechnen dürfen. Gerade in den Mint-Fächern sind Frauen allerdings unterrepräsentiert.

Paradoxes Phänomen

Mit diesen Faktoren lassen sich etwa zwei Drittel der Gehaltsunterschiede zwischen Männern und Frauen erklären. Was das letzte Drittel angeht, gibt es keine statistische Erklärung. Laut Verwiebe handelt es sich dabei wohl um Diskriminierung.

Während vor wenigen Jahrzehnten der Lohn von Frauen oftmals als netter Zuverdienst galt, sind ihre Einkünfte in den vergangenen 20 Jahren zu einer tragenden Säule des Haushaltseinkommens geworden. Nur so lässt sich ein auf den ersten Blick paradoxes Phänomen erklären: Obwohl die Reallöhne in den vergangenen 20 Jahren gesunken sind, zeigen die Umfragedaten, dass die Österreicherinnen und Österreicher weiterhin sehr zufrieden sind, was die Wohlstandssituation ihres Haushalts angeht. Der Grund dafür liegt in der massiven Ausweitung der Frauenbeschäftigung: Indem viel mehr Frauen arbeiten, konnten die Haushalte ihr Wohlstandsniveau halten oder sogar verbessern – obwohl eine Arbeitsstunde de facto weniger wert ist als noch vor 20 Jahren.

Zenit erreicht

In den vergangenen zwei Jahrzehnten hat diese Strategie gut funktioniert, nun ist allerdings der Zenit erreicht. Bei einer Beschäftigungsquote von 80 Prozent bei den Männern und 70 Prozent bei den Frauen im erwerbsfähigen Alter können die Haushalte dem Arbeitsmarkt kaum noch mehr Arbeitszeit zur Verfügung stellen.

Die sinkenden Reallöhne haben auch damit zu tun, welche Arbeitsplätze seit den 1990ern entstanden und welche weggefallen sind. Diese Entwicklungen sind vor allem unter den Schlagwörtern Deregulierung und Prekarisierung zusammenzufassen, wie Verwiebe sagt: Während in der Industrie, die zu den Branchen mit den höchsten Löhnen zählt, 230.000 Jobs weggefallen sind, gab es in den vergangenen 20 Jahren eine Ausweitung von Teilzeitstellen, prekären Beschäftigungen und Niedriglohnjobs. Tausende Personen verdienen weniger als zehn Euro pro Stunde brutto. Zudem gibt es heute etwa 100.000 Soloselbstständige mehr als noch vor 20 Jahren, die sämtliche Risiken allein zu schultern haben.

Selbstverwirklichung im Beruf

Gerade aufgrund dieser Entwicklungen sei es wichtig, die gesellschaftliche Funktion von Arbeit nicht aus den Augen zu verlieren, sagt Jörg Flecker. "Man muss die Frage in den Mittelpunkt stellen, ob die Menschen von diesen Jobs noch leben und an der Gesellschaft teilhaben können."

Geändert hat sich seit den 1990er-Jahren allerdings, dass die Österreicher dem Beruf einen anderen Stellenwert geben. Während vor zwanzig Jahren klar die ökonomische Sicherheit im Vordergrund stand, geht es heute für viele in der Berufstätigkeit auch um Selbstverwirklichung, wie Christina Liebhart vom Institut für Soziologie der Universität Wien betont. Vor allem bei Selbstständigen ist die Identifikation mit dem Beruf oft sehr hoch, ebenso bei Personen, die in akademischen Berufen arbeiten.

Zukunft der Arbeit

Was in den kommenden Jahren auf uns zukommt, sei "keine naturwüchsige Entwicklung", sagt Fle cker, die etwa durch die Digitalisierung vorgegeben werde. "Die Zukunft der Arbeit wird dadurch bestimmt, wer sich durchsetzen und wer sich wehren kann – das sehen wir auch in der derzeitigen politischen Situation." Der Druck in Richtung steigender Flexibilisierung und Deregulierung sei groß, ob diese Trends aber tatsächlich die Zukunft der Arbeit prägen werden, ist eine Entscheidung, die wir alle zu treffen haben. (Tanja Traxler, 28.4.2018)