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"Work-Life Blending" heißt das angesagte Konzept, das neue Heilsversprechen für glückliches (Arbeits-)Leben ist. Also andauernd und immer fließender Übergang zwischen Arbeits- und Privatleben.

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Das klingt doch richtig nach Freiheit, nach Selbstbestimmtheit – zumindest recht praktisch: von überall aus arbeiten, zu jeder Zeit, keine langen Anfahrten ins Büro voll quälender Routine, vollgestopfter Öffis, Verzögerungen im Kindergarten. Mein Zuhause ist mein Büro.

Oder umgekehrt: Warum sollte ich noch in ein anderes Zuhause gehen, wenn doch alles an einem Ort sein kann – auch total praktisch, vom Frühstücksburrito über die Krabbel- und Sportgruppe bis zum After-Work-Smoothie ist alles da im Büro, alle Kollegen sind gern zusammen und – vor allem – glücklich. Was soll daran falsch sein?

"Work-Life Blending" heißt das angesagte Konzept, das neue Heilsversprechen für glückliches (Arbeits-)Leben ist. Also andauernd und immer fließender Übergang zwischen Arbeits- und Privatleben. Der gute alte Sehnsuchtsbegriff der Work-Life-Balance ist damit in die Mottenkiste der Lächerlichkeit gepackt.

Ein Ausgleich mit Grenzen zwischen den beiden Welten ist also etwas für Leute, denen offensichtlich das Wichtigste fehlt: Passion. Und wem das fehlt, proklamierte Steven Jobs schon vor Jahren, wer das "passion principle" nicht verinnerlicht hat, für den wird es leider keinen guten Platz in der New World of Work geben, in der "Wir sind alle sehr glücklich und immer verbunden" das Morgengebet ist.

Der Circle ist einer der jüngsten (beunruhigenden) Entwürfe einer Arbeitswelt, die Privatheit und Abgrenzung ächtet. Interesse an Privatheit ist dort bereits als "Unausgefülltsein im Beruf" determiniert. Wer Grenzen ziehen muss, ist bejammernswert, er hat sein richtig glücklich-leidenschaftliches Leben noch nicht gefunden.

Nur ein Betrug?

An dieser Stelle hakt sich der streitbare Personalprofessor Christian Scholz (Universität des Saarlands) – einer, der auf der Liste der "wichtigsten Personen des Personalwesens" in Deutschland steht – mit seinem jüngsten Buch zu Work-Life-Blending ein.

Wie er seine Forschungsfrage "Werden wir am Ende belogen, betrogen und manipuliert?" beantwortet, ist schon am Cover ersichtlich. "Mogelpackung" heißt es dort merkwürdig zärtlich. Was tatsächlich erscheint, ist dann allerdings Work-Life-Blending als von Politik und Wirtschaft schlau gebaute Echokammer zwecks weiterer Verdinglichung von Arbeitssklaven. Diesmal sind sie "glücklich", weil die Gehirnwäsche so weit funktioniert hat. Und diesmal sind sie – eben durch den Fall aller Grenzen – die optimalen Datenpunkte. Optimal analysiert, gesteuert, gefüttert und verwendet. Im "Blending" weiß Work eben alles über Privat – und das ist, scheint's, einer der Zwecke angesichts der rasanten Entwicklung der People-Analytics und Predictive-People-Analytics.

Der Zweck ist als ein guter ausgelobt: Fehler verhindern, bevor sie passieren, Arbeitsunfälle ausrotten, die Leute so einsetzen, wie sie gerade verfasst sind. Dazu muss die Firma doch genau Bescheid wissen. Verhaltenssteuerung, so gut es geht – auch im Privatleben. Wie nett ist das denn, wenn die Firma mir hilft, privat fit zu werden, mich richtig zu ernähren und die richtigen Dinge zu kaufen. Sie kann das ja auch, sie kennt mich so gut. Wobei, so meint auch Scholz, nicht die Daten das Problem sind, sondern ihre (willkürliche) Zusammensetzung, das Erzeugen von Kausalitäten und daraus folgenden Bewertungen, Ausschließungen oder Zugängen und Chancen.

Selbstverständlich wurde da freiwillig mit Hakerl und Unterschrift zugestimmt – ja, das war ja auch Bedingung für die Arbeitsstelle.

Angemessenes Zusammenspiel

Und wie meistens: Alles fing ganz harmlos an. Nämlich mit einer Suche, der fast ewigen Suche nach dem angemessenen Zusammenspiel von Erwerbsarbeit und dem Privatleben. Dann kamen "Digitalisierung" und "Disruption", die Roboterfreunde, die Automatisierung. Schließlich der Erleichterung verheißende Begriff der Flexibilisierung. Für Professor Scholz Versatzstücke einer ziemlich perfekten Propagandamaschinerie. Ihm fehlt der Glaube, es handle sich bei "Flexibilisierung" um das Ansinnen, allen Arbeitnehmern Wahlfreiheit zu gewähren. Vielmehr belegt er als Inhalt diese Wundertüte, die arbeitgeberseitige Flexibilisierung als Diktat an die Abhängigen.

"Digitalisierung" sieht er solcherart als tayloristisches Werkzeug missbraucht, dem sich die Arbeitenden unterzuordnen haben. "Wir haben den mechanischen Taylorismus abgeschafft, um ihn durch den digitalen Taylorismus zu ersetzen." Die allgegenwärtige Digitalisierung fordert dann logischerweise Work-Life-Blending. Der Datenstrom soll ja nicht unterbrochen werden.

Welche Rolle Rhetorik bei der Erstellung von Wirklichkeiten spielt, ist bekannt – diesbezüglich aktuell wieder dringend empfohlen: Victor Klemperers LTI, 1947, über die Lingua Tertii Imperii.

Wollen mitmachen?

Scholz fällt dazu viel ein, das als "frame" der neue Arbeitswelt dient: Clean-Desk-Policy etwa – leerer Schreibtisch, alles sauber, alles immer ganz toll reisebereit im eigenen Rucksack. Oder Open Office – die Befreiung aus der finsteren Höhle. Home-Office – die als Entgegenkommen dargestellte Auslagerung von Infrastruktur an Arbeitnehmer.

Da passen gut die Projektjobs, die Mikrojobs, die Clickjobs dazu – für die muss man "geblendet" leben, schließlich wartet man ja, bis einem ein Happen vor die Füße geworfen wird: Arbeitnehmer in permanenter Rufbereitschaft in der Geolocation, aus dem "Life" wird an "Work" gemeldet.

Work-Life-Blending hebe, warnt Scholz, den Unterschied zwischen beruflichen und privaten Daten völlig auf, dadurch werde der Mensch nun wirklich gläsern – ohne jedwede Rückzugsmöglichkeit. Er legt hier nicht Verschwörungstheorien nach, sondern will zur Frage zwingen: Wollen wir da fröhlich mitmachen? Wollen wir alles, was serviert wird, glücklich konsumieren?

Relevante Fragen. Und nicht nur für die Generationen Y und X, die sich überwiegend "Work-Life-Separation" noch als Luxusgut leisten können. (Karin Bauer, 5.4.2018)