Vater Hermann (links) und Sohn Thomas Neuburger (rechts) haben bei gemeinsamen Supermoto-Rennen gelernt, als Team zu funktionieren.

Foto: derStandard/Urban

Der Mühlviertler Familienbetrieb Neuburger hat sich über einhundert Jahre immer wieder neu erfunden. Heute entstehen am Standort in Ulrichsberg nebeneinander Edelleberkäse und vegetarische Würste. Vater und Sohn lenken das Unternehmen gemeinsam. Im Gespräch mit dem STANDARD erzählen sie, wieso sie lange nach einer passenden Alternative zu Fleisch gesucht haben, welche Vorteile ein Familienbetrieb in einem schwierigen Marktumfeld hat und wie sie die "Billa-Delle" überstanden haben.

STANDARD: Sie führen einen hundertjährigen Fleischereibetrieb, der bekannt für Leberkäse ist, den man nicht so nennen darf. Jetzt haben Sie ein Patent auf ein vegetarisches Produkt. Was landet bei Ihnen zu Hause auf dem Teller?

Hermann Neuburger: Wir essen nicht mehr viel Fleisch. Das ging einher mit der Entwicklung unserer neuen vegetarischen Produktlinie Hermann Fleischlos. Wir wollen damit nicht die Menschen zum Vegetarismus bekehren, das wird nicht passieren. Aber es ist einfach vernünftig, ein bisserl weniger Fleisch zu essen. Die Flexitarier sind unsere Zielgruppe.

Thomas Neuburger: Wir bieten ja keinen typischen Fleischersatz. Während der fünfjährigen Entwicklung haben wir gesehen, dass Mitbewerber stark auf hochindustrielle Verfahren setzen und auch viele kleine Helferlein, wie Aromen, Konservierungsstoffe usw. einsetzen. Wir haben ein Verfahren entwickelt und patentiert, mit dem wir aus Pilzen mit Reis, Hühnerei und Gewürzen vielfältige Produkte herstellen können.

STANDARD: Wie sind Sie auf den Pilz gekommen?

Hermann Neuburger: Seit zwanzig Jahren denke ich schon darüber nach, ein vegetarisches Produkt anzubieten. Ich bin aufgewachsen im Fleischereibetrieb, da haben wir vor Ort geschlachtet. Dann kamen die Zentralschlachthöfe, und die Massentierhaltung ist gewachsen. Das hat mir schon sehr lange nicht gefallen. Jeder Mensch ist verantwortlich für seine Ernährung, als Fleischerzeuger habe ich aber eine vielfache Verantwortung.

Vater Hermann hat gelernt, die Unternehmensführung zu teilen: "Thomas sagt, wenn ihm etwas nicht passt. Das ist im Mühlviertel nicht üblich. Da habe ich auch gelernt, mich zurückzunehmen."
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STANDARD: Warum genau der Pilz statt Soja und Co?

Hermann Neuburger: Auf Reisen durch China, Taiwan und Japan suchten wir den passenden Rohstoff wie eine Nadel im Heuhaufen. Dann haben wir es auf drei Rohstoffgruppen eingeschränkt: Weizeneiweiß, Soja und Pilz. Mit diesen Rohstoffen haben wir dann mit Köchen experimentiert.

Thomas Neuburger: Konkret hat der Kräuterseitling gewonnen. In Europa ist Pilz aber gleich Champignon. Den Kräuterseitling gab es 2015 nur bei wenigen Anbietern zu kaufen. Wir standen wieder vor einer weißen Wand.

STANDARD: Jetzt züchten Sie selbst?

Thomas Neuburger: Ein Pilzzüchter aus Holland hat sich bei uns gemeldet. Der war zufällig in Österreich und auf der Suche nach einem neuen Projekt.

Hermann Neuburger: Der ist echt vom Himmel gefallen. Jetzt haben wir eine Zuchtanlage in unserem Betrieb in Ulrichsberg. Mittlerweile haben wir acht Hallen. Im Mai folgt der Spatenstich zum nächsten Bau.

STANDARD: Sie bieten vegetarische Bratwürste und Hendlstreifen und vegetarisches Gyros an. Wieso muss man herkömmliche Fleischspeisen imitieren?

Hermann Neuburger: Konsumenten haben eine gewisse Risikoarmut. Anders als bei einem neuen koreanischen Restaurant, wo man einmal hingeht und einen Käfer isst, will man im Alltag keine große Veränderung. Das läuft unbewusst ab und beginnt bei der Form und der Zubereitung. Ganz wichtig ist die Konsistenz, allein daran haben wir drei Jahre lang gearbeitet.

STANDARD: Begonnen hat alles vor genau 40 Jahren, als Sie die väterliche Fleischerei übernommen haben. War das immer der Plan?

Hermann Neuburger: Ich war für die Nachfolge vorgesehen, habe aber neben Metzger auch Koch gelernt und überlegt, in die große weite Welt zu gehen. Für meinen Vater lief das Geschäft in den Jahren nach dem Krieg sehr gut, wir hatten drei Filialen, aber als ich einsteigen sollte, Ende der Siebzigerjahre, war die Situation schwierig.

STANDARD: Inwiefern?

Hermann Neuburger: Damals sind die Supermärkte gekommen und haben Fleischtheken eingeführt. Darum habe ich anfangs gehadert, in das Geschäft einzusteigen, mich dann aber doch dazu entschlossen. Meine Idee war, aus unserem für seine Qualität bekannten "Neuburger Leberkäse" ein Markenprodukt zu machen und in anderen Geschäften anzubieten.

STANDARD: Alle anderen Produkte aufzugeben – war das nicht riskant?

Hermann Neuburger: Vielleicht von außen betrachtet. Aber das ging nicht von heute auf morgen, ich habe sechs Jahre lang den Markt getestet, indem ich mit unserem Produkt von Ort zu Ort expandierte. Da wusste ich, das funktioniert.

STANDARD: Die Konsumenten waren bereit, mehr zu zahlen?

Hermann Neuburger: Unser Leberkäse hat schon davor Kundschaft aus Nachbargemeinden angelockt. Mein Vater hatte selber einen ungewöhnlichen Schritt für einen Dorfmetzger gemacht und die renommierte Augsburger Fleischerschule besucht. Dort waren sonst nur Söhne von Industriellen. Dabei hat er gelernt, dass man für einen guten Leberkäse nicht die Abfälle aus der Fleischproduktion nehmen muss, sondern edlere Teile, wie Schnitzel, verwenden kann. Damit haben wir uns abgehoben.

STANDARD: Und darum, "sag niemals Leberkäse zu ihm".

Hermann Neuburger: Genau. Ich habe mich anfangs auch selber in die Geschäfte reingestellt und erklärt, warum unser Produkt besser und damit teurer ist.

Auf fünf mal 25 Meter züchtete Neuburger die ersten eigenen Kräuterseitlinge.
Foto: Hermann Fleischlos

STANDARD: Und der Name?

Hermann Neuburger: Wir haben viel und lange darüber diskutiert. Vorbild war die Manner-Waffel, die einfach den Familiennamen trägt. Anfangs wurden wir belächelt, aber es brachte auch Aufmerksamkeit.

STANDARD: Ihre Werbespots haben Preise gewonnen. Den Neuburger gab es bald in ganz Österreich zu kaufen. Trotzdem hat Sie die Marktmacht der Supermarktketten eingeholt?

Thomas Neuburger: Ja, die Billa-Delle nennen wir unseren Konflikt mit Rewe von 2004 bis 2006, als wir aus den Theken der Supermarktkette verschwunden sind.

STANDARD: Sie haben damals aufgehört, Billa zu beliefern, weil Ihnen der Preis zu niedrig war?

Hermann Neuburger: Die ganze Branche hat eine Preiserhöhung gebraucht. Das haben alle Händler akzeptiert, außer Billa.

STANDARD: Darauf haben Sie die Lieferungen an Billa beendet?

Herman Neuburger: Wir haben das Billa viele Wochen vorher mitgeteilt. Vielleicht haben sie gedacht, das kleine Würschtel, was will der tun, und dann im Mai 2004 haben wir aufgehört zu liefern. Wir haben uns natürlich vorher ausgerechnet, dass es nicht leicht wird, aber wir überleben werden.

STANDARD: Wie gelang die Rückkehr in die Billa-Theke?

Herman Neuburger: Ein irrsinniger Medienrummel ist entstanden, Kameras waren bei uns, die Zeitungen haben berichtet. Daraufhin sind die Kunden Sturm gelaufen. Nach einem Wechsel an der Führungsspitze Anfang 2006 wurden wir wieder gelistet. Im Flugblatt von Billa war der Neuburger mit den Worten "Jetzt haben Sie Ihren Liebling wieder" abgebildet. Das hat uns sehr gefreut, das war sehr groß vom Konzern.

STANDARD: Sie erlebten also immer wieder turbulente Zeiten. War Ihnen wichtig, dass die Kinder einmal in den Betrieb und die Branche einsteigen?

Hermann Neuburger: Mir war wichtig, dass meine Kinder bei ihrer Berufswahl alle Freiheiten hatten. Die Lebensmittelbranche ist wegen der Marktkonzentration der Händler sehr hart. Nur wer den Job gern macht, wird überleben.

STANDARD: Wollten Sie immer schon das Geschäft übernehmen?

Thomas Neuburger: Ich habe schon den Unternehmergeist von zu Hause mitbekommen. Als einziger von den Geschwistern studierte ich Wirtschaft, an der WU Wien. Ich war danach auch in Australien, dann in Deutschland im Dienstleistungsbereich. Man muss auch wissen, was man nicht will.

STANDARD: Warum die Rückkehr nach Ulrichsberg?

Thomas Neuburger: 2015 haben wir die neue Linie Hermann Fleischlos gestartet, das hat mich fasziniert, weil es wirklich Neuland ist. Wir haben lange darüber diskutiert, wie eine Zusammenarbeit funktionieren kann. Immerhin haben wir schon miteinander Sport betrieben ...

STANDARD: Beim Supermoto-Rennen.

Thomas Neuburger: Genau. Das ist ein guter Wettkampf, da wächst man menschlich, man lernt einander in Grenzsituationen kennen. Man lernt auch, wie man Uneinigkeiten auflöst. Mein Vater ist da sehr offen und hat einen liberalen Zugang – nicht so patriarchalisch, wie das manchmal der Fall ist.

Hermann Neuburger: Am Anfang ist es mir schon schwergefallen. Ich habe ja 30 Jahre allein gearbeitet, allein entschieden, aber Thomas sagt, wenn ihm etwas nicht passt. Das ist im Mühlviertel nicht üblich. Da habe ich auch gelernt, mich zurückzunehmen.

STANDARD: An der Wirtschaftsuniversität lernt man anhand von komplexen Flowcharts, wie Innovation in der Wirtschaft funktioniert. Kann man als Familienunternehmen da mithalten?

Thomas Neuburger: Familienunternehmen oder Klein- und Mittelunternehmen wie wir sind sehr flexibel. Wir denken außerhalb von Flowcharts und nicht mit einem Budget und der Hierarchie eines Großkonzerns. Überspitzt: Das ist die Überlebenschance des Mittelstandes. Wir wollen Qualitätsführer sein, Kostenführer zu sein ist nicht unser Ziel. (Leopold Stefan, 29.4.2018)