In Berlin trugen dieser Tage tausende prominente und nichtprominente Nichtjuden die "Kippa", die traditionelle Kopfbedeckung des jüdischen Glaubens. Damit sollte gegen die sich häufenden Übergriffe meist muslimischer Personen gegen Juden protestiert werden.

Es gibt ganz klar einen neuen muslimischen Antisemitismus in Europa. Aber was wurde aus dem alten deutschen, österreichischen, rechten Antisemitismus? Er ist noch da, aber die Grenzen sind nicht mehr so eindeutig. Wie ist es etwa zu bewerten, dass die FPÖ-Führung offiziell dem Antisemitismus abgeschworen hat; gleichzeitig aber die antisemitisch grundierte Kampagne des ungarischen Autokraten Viktor Orbán in Bezug auf den Financier und Philanthropen George Soros ausdrücklich übernimmt und bekräftigt? Aber das könne ja gar nicht antisemitisch sein, denn schließlich habe auch der israelische Premier Benjamin Netanjahu Soros massiv angegriffen?

Der gemeinsame Nenner: Orbán, Netanjahu und die FPÖ sind Feinde der liberalen Demokratie, sie wollen eine autoritäre Herrschaft. George Soros hat diese Zeit seines Lebens mit etlichen Milliarden Dollar gefördert. Schon im Kommunismus, als er in einigen osteuropäischen Ländern NGOs unterstützte, die den Reformprozess in Richtung Demokratie begleiteten; heute gegen die nationalistischen Tendenzen dortselbst. Und in Israel gegen die Besatzungspolitik und die zunehmend illiberale Politik der israelischen Rechtsregierung unter Netanjahu. Soros stützt sich dabei auf das Konzept der "offenen Gesellschaft" des austrobritischen Philosophen Sir Karl Popper. Nur eine im geistigen Sinn, für Kritik und Selbstkritik offene Gesellschaft sei auf Dauer den engen autoritären und diktatorischen Systemen überlegen.

Orbán, Netanjahu, Strache und Co fürchten in Soros den Verkämpfer für eine offene Gesellschaft. Orbán verfolgt sein Konzept der "illiberalen Demokratie" offen, die anderen streben es implizit an. Besonders Orbán bediente sich dabei in seinem Wahlkampf des uralten antisemitischen Klischees vom "jüdischen Kosmopoliten und Spekulanten", der einen teuflischen Plan hat, mittels muslimischer Immigrantenmassen das christliche Europa einem "Volksaustausch" (das rechtsextreme Magazin "Compact", zustimmend zitiert von der FPÖ-nahen unzensuriert.at) zu unterwerfen.

Die FPÖ übernimmt diesen Vorwurf, behauptet aber mit frommem Augenaufschlag, das habe mit der Religion von Soros gar nichts zu tun. Und wettert gleichzeitig gegen den muslimischen Antisemitismus. Sieht man sich den neuen Philosemitismus der FPÖ näher an, dann erkennt man, dass dieser bevorzugt die Partei der israelischen Rechten und Ultrarechten (Siedlerbewegung) gegen die (muslimischen) Palästinenser nimmt.

Was aber den Antisemitismus unter religiös-nationalistischen Muslimen (etwa Erdogans Anhängern) nicht akzeptabler macht. Wobei man das Gefühl haben kann, dass sich derzeit der alte rechte Antisemitismus hinter dem neuen, muslimischen versteckt. (Hans Rauscher, 27.4.2018)