400.000 Franken in Fünf-Rappen-Münzen kippten Verfechter des Grundeinkommens auf den Bundesplatz in Bern. Manche lädt der Geldsegen doch dazu ein, sich auszuruhen.

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Österreich im Jahr 2040: Jeder Bürger erhält bedingungslos 20.000 Bit-Euro im Monat (das entspricht 1.185 Euro heute, die offizielle Armutsgrenze). Der durchschnittliche STANDARD-Leser von heute hätte das Pensionsalter erreicht. Nur, die Pension gibt es nicht mehr. Die Grenze zwischen Erwerbsleben und Rente verschwimmt. Genauso wenig gibt es Arbeitslosengeld, Familienbeihilfe oder Mindestsicherung – das Grundeinkommen hat diese Sozialleistungen abgelöst.

Das Arbeitsmarktservice ist lediglich eine Jobplattform, die Pensionsversicherungsanstalt verwaltet noch die – natürlich schrumpfenden – "Restbestände". Jeder dritte Job, den es 2018 gab, ist verschwunden, aber dank digitaler Innovation sind mehr neue entstanden. Die meisten Österreicher arbeiten weiterhin, sind fest angestellt, drei bis vier Tage die Woche; ob als Virtual-Reality-Reiseführer, Fleischzüchter im Vertical-Farm-Lab oder Real-Live-Gesprächspartner. Oder sie machen etwas ganz anderes, Hauptsache, es bereitet ihnen Freude.

Am Anfang dieser Utopie steht eine Frage: Was würden Sie tun, wenn Sie nicht mehr arbeiten müssten? Verfechter eines bedingungslosen Grundeinkommens sind überzeugt, die meisten Menschen würden keinen Freudensatz in die Hängematte machen, sondern eine sinnstiftende Beschäftigung für sich und die Gesellschaft finden. Kritiker fürchten, dass der Anreiz, nicht mehr zu arbeiten, positive Effekte überwiegt. Um den Freiburger Finanzökonomen Reiner Eichenberger zu paraphrasieren: Zu viel Sozialpolitik und Regulierung führen in die Knechtschaft.

Kein Segen dem Geldregen

Zurück in die Vergangenheit: Heftige Sommergewitter zogen über die Schweiz, als das Stimmvolk im Juni 2016 an die Urnen schritt, um über die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens abzustimmen. In der Bundeshauptstadt Bern spülte der Platzregen vielleicht noch das eine oder andere Foiferli, wie die 0,05-Franken-Münze im Volksmund liebevoll genannt wird, in den Rhein. Acht Millionen Stück davon, 15 Tonnen, hatten die Initiatoren Jahre davor aus einem Laster auf den Bundesplatz gekippt.

Vielleicht hinterließ die Aktion einen tiefen Eindruck. 40 Prozent in Bern stimmten für das Grundeinkommen, landesweit waren es nur 23 Prozent. "Das ist deutlich mehr, als wir erwartet hatten", reagierte Daniel Häni, Unternehmer und Sprecher der Volksinitiative, auf das Ergebnis. Die Debatte gehe somit weiter, ist er überzeugt.

So nahe der Realität wie in der Schweiz kam das Grundeinkommen noch nie. Zwar wurden in einigen Ländern kleine Feldversuche durchgeführt, viele davon erfüllen aber nicht alle Kriterien. Jüngst hat Finnland die Ausweitung eines Grundeinkommensexperiments abgesagt. Dabei erhielten 2.000 Arbeitslose monatlich 560 Euro, ohne Auflagen, versteht sich. Ein ähnliches Projekt in der kanadischen Provinz Ontario ist in den Startlöchern. Bedingungslos sind diese Einkommen nicht, da nur Arbeitslose infrage kamen.

Auch ohne authentischen Versuchsballon tappt die Wissenschaft nicht ganz im Dunklen. In einer aktuellen Studie etwa beobachten die US-Ökonomen Damon Jones und Ioana Marinescu, wie sich eine allgemeine Geldleistung auf den Arbeitsmarkt in Alaska auswirkt. Seit 1982 zahlt der erdölreiche US-Bundesstaat eine jährliche Dividende von circa 2.000 Dollar an jeden Einwohner, und zwar "no strings attached."

Seit der Auszahlung hat sich der Anteil der arbeitenden Bevölkerung in Alaska insgesamt nicht verändert, fanden die Ökonomen heraus. Allerdings gab es mehr Menschen, die Teilzeit arbeiten, vor allem in Sektoren, die handelbare Güter produzieren. Die Beschäftigungseffekte im nichthandelbaren Sektor blieben gleich. Dieses Detail ist wichtig. Denn es spricht dafür, dass die zusätzliche Nachfrage der alaskischen Konsumenten dank der Auszahlung die negativen Arbeitsanreize gesamtwirtschaftlich ausgeglichen hat. Demnach gelang das nur, weil dem Bundesstaat sprudelnde Ölquellen zur Verfügung standen.

Nicht gratis, nicht umsonst

Das könnte die Krux an der Sache sein: Der Ölfonds im rund 740.000 Einwohner zählenden Alaska ist rund 60 Milliarden Dollar schwer, ungefähr so viel gibt Österreich im Jahr für Pensionen aus. Ein bedingungsloses Grundeinkommen in Höhe von rund 1.300 Euro im Monat, das andere Sozialleistungen ablöst, würde den Staat zusätzlich rund 34 Milliarden Euro jährlich kosten, berechnet der liberale Thinktank Agenda Austria. Ist das die Sache wert?

Nicht nur für linke Vordenker war das Grundeinkommen als lückenloses Sicherheitsnetz immer schon eine attraktive Vorstellung. Liberale Denker wie Friedrich August von Hayek oder Milton Friedman unterstützen die Idee. Denn zum einen fördert ein Grundeinkommen die Chancengleichheit, zum anderen ist das bürokratische Sparpotenzial enorm, wenn die mannigfaltigen Sozialleistungen zu einer verschmelzen. Würde man nur die jetzigen Sozialausgaben vereinheitlichen und gleich aufteilen, erhielte jeder Österreicher 800 Euro, ohne Zusatzkosten. Selbst dieser Schritt würde eine große gesellschaftliche Umverteilung auslösen, schließlich bezieht so mancher mehr vom Staat. Kein Wunder, dass die politische Realität bisher weltweit ein Grundeinkommen verhindert hat.

Wenn es um die Finanzierung geht, blicken die Verfechter des Grundeinkommens ohnehin in eine Zukunft, in der Roboter die notwendige Wertschöpfung liefern, während viele Menschen neue Tätigkeiten finden müssen. Das sollen sie dank Grundeinkommen ohne Druck machen, lautet die Devise. Warum diskutieren wir dann schon heute darüber?

Für den Schweizer Initiator der Grundeinkommensinitiative, Daniel Häni, ist die wesentliche Etappe schon erreicht, sobald wir uns fragen: Was würde ich tun, wenn ich nicht mehr arbeiten müsste? (Leopold Stefan, 5.2018)