Gül (links) war der wichtigste politische Weggefährte des amtierenden türkischen Staatschefs Tayyip Erdogan.

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Der Vorwahlkampf in der Türkei ist um ein Drama ärmer: Nach einer Woche wachsender Spekulationen über eine Kandidatur von Abdullah Gül bei den Präsidentenwahlen am 24. Juni, hat der frühere Staatschef am Samstagmittag sein Schweigen gebrochen.

Ein breiter Konsens habe sich nicht ergeben, sagte Gül, "meine Kandidatur ist kein Thema mehr". Gül war der wichtigste politische Weggefährte des amtierenden türkischen Staatschefs Tayyip Erdogan und ein Mitbegründer der regierenden konservativ-islamischen AKP. Doch er äußerte sich zunehmend kritisch über den autoritären Kurs seines Amtsnachfolgers.

"Furcht und Leiden"

Gül trat am Samstag vor seiner offiziellen Residenz in Istanbul, dem Maslak-Palast im Stadtteil Isitinye am Bosporus, vor die Presse. Die Türkei gehe durch eine ihrer schwierigsten Zeiten, begann der 67-Jährige. Leider gebe es im Inneren viel Anspannung, Polarisierung, Furcht und Leiden, fuhr Gül fort, was als Verweis auf den konfrontativen Stil Erdogans und den Ausnahmezustand verstanden wurde.

Seine Kandidatur sei vom Temel Karamollaoglu, dem Vorsitzenden der islamistischen Partei der Glückseligkeit (Saadet Partisi), ins Spiel gebracht worden, sagte Gül. Er habe Temel Bey gesagt, dass er Vorbereitungen für einen solchen Schritt treffen würde, wenn sich ein breiter Konsens dafür entwickle. Dies sei nicht der Fall gewesen, erklärte Gül.

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Kalkül der Opposition

Eine Kandidatur Güls war vor allem aber vom Chef der größten Oppositionspartei, der sozialdemokratisch-kemalistischen CHP, anvisiert worden. Auch die prokurdische Minderheitenpartei HDP erklärte, sie würde Gül in einer Stichwahl gegen Erdogan unterstützen. Denn Gül, so das Kalkül der Parteipolitiker, würde Wähler aus allen Lagern anziehen: Fromme Konservative, die von Erdogan enttäuscht sind, ebenso wie säkulare Türken, Minderheiten, selbst rechte nationalistisch gesonnene Türken, die lieber den ausgleichenden, freundlichen Islamisten Gül, als den autoritären Erdogan wollen. Umfragen, die eine solche Popularität Güls, vier Jahre nach dem Ausscheiden aus dem Amt belegen würden, gab es allerdings nicht.

Zudem äußerten in der CHP eine ganze Reihe von Politikern ihre Ablehnung gegen die Gül-Option. Gül trage als ehemaliger Regierungschef (2002-2003), Außenminister und Staatspräsident (2007-20014) schließlich auch eine Verantwortung für den Niedergang der Demokratie und Rechtsstaat in der Türkei, so hieß es. Die CHP hat noch nicht ihren Präsidentenkandidaten nominiert.

Akşener bleibt

Entscheidend für Güls Absage ist aber wohl Meral Akşener, die Vorsitzende der Guten Partei (Iyi Partisi), einer neuen nationalistischen Mitterechtspartei und Abspaltung der rechtsgerichteten, nunmehr mit Erdogan verbündeten MHP.

Akşener gilt als noch chancenreichste Herausforderin Erdogans. Die einstige Innenministerin könnte Erdogan laut Umfragen in eine Stichwahl zwingen. Akşener machte diese Woche mehrfach klar, dass sie antreten werde. Für Gül war damit nur die Möglichkeit geblieben, entweder als Kandidat der kleinen Saadet-Partei oder als Unabhängiger anzutreten, mit der Hoffnung, in der ersten Runde mehr Stimmen als Akşener zu erhalten und dann mit der Unterstützung aller Oppositionsparteien Erdogan gegenüberzustehen. Das schien ihm nicht sinnvoll. Er wäre lieber von Beginn der gemeinsame Kandidat der Opposition gewesen. (Markus Bernath; 28.04.2018)