Die französischen Lehrlinge machen sich an eine Cabonade Flamande.

Foto: Christian Fischer

In der Küche herrscht heftiges Gedränge. Tomaten werden kleingehackt, Teller abgewaschen, und über den Töpfen mit Suppen und köchelnden Erdäpfeln steigt dicker Rauch auf. "Noch einmal umrühren, Léon. Dann abschmecken", sagt Fabrice Blot mit ruhiger Stimme. Blot ist kein strenger Lehrer, er lacht viel und klopft seinen beiden Schützlingen immer wieder auf die Schultern.

Er hat auch keinen Grund, böse zu sein. Seine beiden Praktikanten, Léon und Ismael, haben sich bereits bewährt: Für einen Monat sind sie von Lille in Frankreich nach Wien gekommen, um im Restaurant Lugeck in Wien als "Austauschlehrlinge" zu kochen. Zum Abschluss servieren sie ihrem Lehrer Blot, der für den letzten Tag auf Besuch nach Wien kam, und den anderen Mitarbeitern ein französisch-belgisches Leibgericht: Carbonade flamande – einen Schmorfleischeintopf, mit einer Sauce aus Bier, Zwiebel und Lebkuchen.

Lehrlinge schwer zu bekommen

Es ist das erste Mal, dass die Figlmüller-Gruppe Lehrlinge aus dem Ausland empfängt. "Das Projekt ist als Initiative entstanden, um wieder mehr Lehrlinge für die Gastronomie zu begeistern", sagt Barbara Friess, Personalleiterin bei Figlmüller. Denn das Problem von Figlmüller: Der Betrieb finde nur sehr schwer Lehrlinge.

Unter Anleitung von Koch Fabrice Blot kochen Léon und Ismael im Figlmüller.
Foto: Christian Fischer

Er ist nicht der einzige: Schon seit Jahren klagen besonders Hoteliers, Restaurant- und Lokalbetreiber über einen Mangel an Personal. Tatsächlich ist die Zahl der Lehranfänger in Tourismusberufen in den letzten zehn Jahren laut Wirtschaftskammer (WKO) um fast vierzig Prozent – und damit deutlich stärker als in anderen Branchen – zurückgegangen. Zwar haben 2017 zum ersten Mal wieder mehr Burschen und Mädchen eine Lehre in einem Tourismusberuf begonnen, von einer Erholung ist die Branche aber noch weit entfernt. Rund 7000 Köche und mehr als 9000 Kellner werden in Österreich bis 2023 zusätzlich gesucht, prognostiziert eine Wifo-Studie im Auftrag des Arbeitsmarktservice (AMS).

Regionales Gefälle

Auch scheint es eine deutliche Diskrepanz zu geben: So kamen laut Wirtschaftskammer Anfang des Jahres lediglich 197 Bewerber auf 496 offene Lehrstellen als Koch, bei dem Beruf Restaurantfachmann waren es sogar nur 128 Bewerber auf 535 offene Lehrstellen. Bei den Zahlen zeigt sich ein deutlicher Unterschied zwischen dem Westen und Osten Österreichs: Während es in Wien mehr als doppelt so viele Kochlehrlinge wie Lehrstellen gibt, kommen in Salzburg auf 100 Stellen gerade einmal neun Bewerber.

"Viele Lehrlinge identifizieren sich heute nur mehr wenig mit dem Betrieb, wollen kürzere Arbeitszeiten und mehr Urlaub. Alles Dinge, die in der Gastronomie oft schwer zu verwirklichen sind", meint Friess. Im Lehrlingsmonitor des Österreichischen Instituts für Bildungsforschung (ÖIBF), in dem 6000 Lehrlinge im letzten Lehrjahr befragt wurden, kamen die Gastronomie und Hotellerie besonders schlecht weg: Die Ausbildungsqualität, das Arbeitsklima und Überstunden waren die häufigsten Gründe für Unmut, heißt es in der Studie.

Höhere Ausfallraten

Das zeigt sich auch in der Ausfallrate während der Ausbildung: Demnach standen in Tourismusbetrieben von 100 Lehrlingen nach einem Jahr nur mehr 79 in einem Lehrverhältnis. Zum Vergleich: In der Produktion waren es noch 94, im Handel 90. Den Stress und die Anstrengung kennt auch die zwanzigjährige Michelle Pour, die seit fast drei Jahren als Kochlehrling in der Lugeck-Küche von Figlmüller arbeitet. "Ich glaube, dass es für Frauen schwieriger ist. Man muss viele harte Kommentare wegstecken können", sagt sie.

An Wochenenden und Feiertagen zu arbeiten sei auch ein Teil der Arbeit, bei Dienstzeiten müsse man flexibel sein. Genau in diesem Bereich sieht Berend Tusch, Vorsitzender des Fachbereichs Tourismus in der Gewerkschaft Vida, Aufholbedarf unter den Betrieben. "Die Arbeitszeiten der Lehrlinge werden von den Betrieben meist ausgereizt. Und anstatt diese richtig auszubilden, werden die Lehrlinge oft als Arbeitskräfte ausgenutzt", meint er. Das trage zusätzlich zu einer Verschlechterung des bereits angekratzten Images der Lehre bei.

Christian Vanik von der Sparte Tourismus bei der WKO sieht es anders: Der Lehrlingsmangel sei auch ein demografisches Problem: Die niedrigere Geburtenrate führte zu einer geringeren Zahl an Jugendlichen, die für den Lehrstellenmarkt zur Verfügung stehen. Während auf der einen Seite mehr Gäste nach Österreich kommen, würden auf der anderen Seite die Lehrlinge fehlen. Zudem sei die Gastronomie eine sehr anspruchsvolle Branche, der nicht alle Jugendlichen gewachsen seien. Viele Betriebe müssen sich an Gästewünsche anpassen, um nicht unterzugehen.

Eine Frage des Klimas

Figlmüller glaubt, mit seiner Erasmus-Initiative gegensteuern zu können. Das Unternehmen biete viermal im Jahr Produktschulungen für die 29 Lehrlinge im Betrieb an, bei denen beispielsweise andere Gewürze und Zutaten vorgestellt werden. Die Lehrlinge müssen laut Friess einen Arbeitsnachweis führen, der mit den Betreuern am Ende jedes Monats besprochen wird, um Feedback darauf zu geben.

Tusch warnt, die Lehrlingsausbildung nicht nur an einigen Ausflügen aufzuhängen. "Diese Events sind zwar nett, aber wenn die Stimmung insgesamt nicht passt, bringen sie wenig", meint er. Die Betriebe hätten es selbst in der Hand, die Arbeitsbedingungen für ihre Mitarbeiter zu verbessern.

Gute Seite der Lehre vermitteln

Branchenvertreter entgegnen, dass für solche Programme meist die Ressourcen fehlen. Besonders kleine und mittlere Betriebe würden bereits jetzt an ihrem zeitlichen und arbeitstechnischen Limit arbeiten. Es gehe auch darum, den Jugendlichen und Eltern die positiven Seiten einer Lehre zu vermitteln, etwa was die Arbeitsmöglichkeiten und den Verdienst betrifft.

Michelle hat ihre Leidenschaft zum Kochen jedenfalls bereits entdeckt: "Ich möchte eigene Gerichte zusammenstellen und mit Gewürzen und Ideen aus anderen Ländern experimentieren, möglichst viel ausprobieren", sagt sie. Besonders freut sie sich auf den Sommer: Dann wird sie als erster Austauschlehrling nach Lille gehen, um dort einen Monat lang in einem Michelin-Restaurant zu kochen. Und auch für die Zeit nach der Lehre hat Michelle schon einen genauen Plan: "So schnell wie möglich nach oben arbeiten und einmal Küchenchefin in einem Restaurant sein." (Jakob Pallinger, 30.4.2018)