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Der tödliche Hinterhalt am Golan mit neun toten Syrern wirft juristische, aber auch moralische Fragen auf.

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Haben österreichische Blauhelmsoldaten am 29. September 2012 auf den Golanhöhen neun Mitglieder einer syrischen Polizeieinheit wissentlich in einen tödlichen Hinterhalt, den zuvor 13 bewaffnete Männer, angeblich Schmuggler, vor den Augen der UN-Soldaten errichtet hatten, fahren lassen? Hätten sie die absehbare Exekution der Syrer verhindern müssen oder dies aber überhaupt nicht dürfen in ihrer Rolle als UN-Friedenstruppe?

Diese Fragen stellt sich nicht nur die von Verteidigungsminister Mario Kunasek (FPÖ) eingesetzte Untersuchungskommission, mit der dieser auf ein von der Wiener Stadtzeitung "Falter" veröffentlichtes Video reagierte. Es zeigt den Vorfall – über den der Uno-Sicherheitsrat damals an sich informiert worden war – in der Pufferzone zwischen Israel und Syrien. Darauf ist zu sehen und zu hören, wie die österreichischen Soldaten Zeugen der Attacke auf die syrischen Sicherheitskräfte werden. Die Tonspur macht auch das Dilemma hörbar, in dem sich die Heeresangehörigen befanden. Ein Soldat sagte mit Blick auf den weißen Pick-up, der den UN-Checkpoint passiert hatte: "Normal musst das de Hund' sogn."

"Befehl: Nicht einmischen"

Sie haben aber nichts gesagt: "Der Befehl lautete: nicht einmischen", erzählte Markus H. den "Salzburger Nachrichten". Hätten sie die Syrer gewarnt, wären sie selbst "auf der Abschussliste der Bewaffneten gestanden", meinte der Steirer, der selbst ein Jahr auf dem Golan diente und die Soldaten, deren Stimmen man hört, erkannt hat: "Sie haben zu 100 Prozent korrekt gemäß unserem Auftrag gehandelt." Laut H. kam der entscheidende Befehl per Funk vom Kommandanten der Kompanie und sei auch richtig gewesen.

Diese Sichtweise lehnt Militärstratege Gerald Karner mit Nachdruck ab. Die Videoszenen, die die Uno "verstörend" nennt, seien "abstoßendst", sagte der frühere Brigadier des Bundesheers am Sonntag im STANDARD-Gespräch: "Das widerspricht jedem soldatischen Ethos. Die Österreicher hätten die Syrer natürlich warnen müssen", meint Karner, der 2006 aus dem Heer ausgeschieden ist und die Unternehmensberatungsfirma Aventus gegründet hat.

Er liegt damit auf einer Linie mit dem Völkerrechtsexperten Manfred Nowak, der von einer Pflicht zur Warnung ausgeht. Schlimmstenfalls könne den beteiligten Soldaten eine Anklage wegen Beihilfe zum Mord drohen.

Beobachten und melden

Karner vermutet "eine grundsätzliche Überforderung vor Ort". Er sieht "ein klares Führungsproblem", womöglich habe es keine ausreichenden oder angemessenen Instruktionen gegeben – und es sei auch zu hinterfragen, ob das UN-Mandat 2012 überhaupt noch den Zuständen an der Grenze zwischen Israel und Syrien, wo es schon damals bürgerkriegsähnliche Zustände gegeben habe, entsprochen hat. Die Blauhelme, die seit 1974 dort stationiert sind, dürfen nämlich nur "beobachten und melden", ob der Waffenstillstand eingehalten oder gebrochen wird: "Das ist die Rolle – die aber klarerweise das Recht auf Selbstverteidigung beinhaltet", betont Karner.

Die Blauhelme aus Österreich (2013 wurden alle abgezogen) hätten im Falle einer Warnung an die Syrer auf einen Angriff auf sie selbst natürlich reagieren dürfen. Egal, welchen Befehl von oben es auch gab: "Sie hätten nichts riskiert. Es kann keine Vorschrift geben, die verbietet, dass man Leute nicht in den Tod schickt", meint Karner, der sich "nicht vorstellen kann, dass ein Soldat, der für sich entschieden hätte, die Syrer zu warnen, militärintern Schwierigkeiten bekommen hätte".

Nur 30 Schuss Munition pro Mann

Gröbere Schwierigkeiten hatten die Beteiligten allerdings auch so, ist aus der Aussage von Markus H. ableitbar. Laut ihm verfügten die Österreicher über keine kugelsicheren Westen und hatten nur 30 Schuss Munition pro Mann – angesichts der damaligen Lage am Mount Hermon eine suboptimal anmutende Ausstattung für eine Selbstverteidigungsaktion gegen schwerbewaffnete Angreifer.

Der Vorfall am Golan könnte auch für die Republik Österreich rechtliche Konsequenzen haben. Konkret könnten Schadenersatzforderungen von Hinterbliebenen der syrischen Opfer drohen, erklärten die auf Völkerrecht und internationalen Menschenrechtsschutz spezialisierten Juristen Matthias Edtmayer und Hannes Jöbstl am Sonntag im STANDARD-Gespräch.

Republik haftet für entsendete Soldaten

Eine vergleichbare Entscheidung gibt es bereits aus den Niederlanden. Dort entschied ein Berufungsgericht im vergangenen Jahr, dass die Niederlande teilweise für die Untätigkeit der niederländischen UN-Blauhelme in Srebrenica haftbar und zum Schadenersatz verpflichtet sind.

Für die Schadenersatzfrage zuständig wäre genauso wie für eine strafrechtliche Verfolgung der beteiligten Soldaten, deren Handlungen womöglich den Tatbestand der Beihilfe zum Mord erfüllen, die österreichische Justiz.

In letzter Konsequenz könnte die ganze Angelegenheit sogar zu einem Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg führen, erklären Edtmayer und Jöbstl: "Österreich könnte durch das Verhalten der entsendeten Soldaten seine Menschenrechtsverpflichtung verletzt haben." (Lisa Nimmervoll, 29.4.2018)