Profiradsport im Schatten der Altstadtmauer von Jerusalem hat es schon gegeben, das Gastspiel des Giro d'Italia ist aber eine besondere Premiere.

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Etwas mehr als 400 der rund 3550 Gesamtkilometer des 101. Giro d'Italia werden auf drei Etappen in Israel zurückgelegt.

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Zwölfmal startete der Giro bei 100 Austragungen in 109 Jahren bisher im europäischen Ausland – zuletzt 2016 in den Niederlanden. Aber noch nie begann er außerhalb Europas. Dass mit Israel, das zurzeit die Feierlichkeiten zu seinem 70-Jahr-Staatsjubiläum begeht, eine politisch besonders heikle Austragungsstätte gewählt wurde, versuchen alle Beteiligten herunterzuspielen – doch so wirklich gelingen mag das nicht.

Als im vergangenen Herbst die Entscheidung des internationalen Radsportverbandes (UCI) für Israel als Co-Austragungsstaat des 101. Giro bekannt wurde, waren viele skeptisch. Aber Renndirektor Mauro Vegni sowie israelische Spitzenpolitiker und Sportfunktionäre glaubten anscheinend, eine rein sportliche Veranstaltung ausrichten zu können.

Kritik nach Präsentation mit Eklat

Schon bald kam es jedoch zum ersten Eklat, als der Giro-Veranstalter RCS Media Group "Westjerusalem" als Ort des 10,1 Kilometer langen Prologs am 4. Mai präsentierte. Wenig überraschend hagelte es Kritik von israelischen Politikern – sogar eine Kündigung des Vertrages stand im Raum. "In Jerusalem, der Hauptstadt Israels, gibt es kein Ost und West", schrieben Tourismusminister Jariv Levin und Sportministerin Miri Regev in einer gemeinsamen Stellungnahme. "Es gibt nur ein unteilbares Jerusalem."

Der Osten der Stadt, seit dem Palästinakrieg 1948 von Jordanien besetzt und 1950 annektiert, wurde im Sechstagekrieg 1967 von Israel erobert. Es beansprucht seither die ganze Stadt als Hauptstadt für sich und unterstrich das 1980 durch die Annexion Ostjerusalems durch das "Jerusalemgesetz". Es besagt, dass "das vereinte Jerusalem ... in seiner Gesamtheit die Hauptstadt Israels" ist.

Umstrittene Stadt

Keiner dieser Vorgänge wurde bisher durch die internationale Gemeinschaft anerkannt, die Uno verurteilte sie sogar in mehreren Resolutionen. Der Status der Stadt bleibt ein zentraler Konfliktpunkt im Verhältnis Israels zu den Palästinensern, die Ostjerusalem als Hauptstadt eines zukünftigen Palästinenserstaates beanspruchen. Zuletzt sorgte US-Präsident Donald Trump im Dezember 2017 für Aufregung, als er verkündete, Jerusalem als Israels Hauptstadt anzuerkennen und daher auch die US-Botschaft von Tel Aviv verlegen zu wollen.

Der Giro-Veranstalter ruderte jedenfalls zurück: Die Rundfahrt beginnt nun mit einem Einzelzeitfahren in "Jerusalem". Bei der Planung der Streckenführung wurde extra das italienische Außenministerium zurate gezogen. Gebiete jenseits der Grünen Line, der Demarkationslinie von 1967, versuchte man zu meiden. Spätestens während der dritten Etappe, auf dem Weg von Be'er Sheva nach Süden in Richtung Eilat am Roten Meer am 6. Mai, werden bei der Durchquerung der Wüste Negev jedoch palästinensische Beduinendörfer passiert.

Protest-Tour

Auch deshalb organisierte sich in den vergangenen Monaten Protest. Unter #RelocateTheRace radelten am 10. März jeweils einige Dutzend Menschen in 20 Städten symbolisch für eine Verlegung des Giros. Auch der linke amerikanische Denker Noam Chomsky beteiligte sich an einem internationalen Boykottaufruf. Immer wieder wurden dabei Vergleiche zwischen der israelischen Siedlungspolitik und dem südafrikanischen Apartheidregime gezogen. Dort habe man auch kein Sportereignis einer solchen Größenordnung veranstaltet, hieß es. Was so nicht stimmt: Jahrelang gastierte etwa die Formel 1 in Südafrika.

Der große politische oder auch sportliche Boykott des Giros bleibt aus. Kein Team, kein Profi, kein nennenswerter Sponsor sagte ab. Sogar das Emirates-Team der Vereinigten Arabischen Emirate und das von Bahrain gesponserte Merida-Team werden am Start stehen und politische Äußerungen tunlichst vermeiden. Es soll sich ja "um eine reine Sportveranstaltung handeln", "fernab von jeder politischen Diskussion", wird Renndirektor Vegni nicht müde zu betonen.

Giro mit Froome

Ganz dem Sport will sich jedenfalls der britische Superstar Chris Froome widmen. Der je viermalige Tour-de-France- und Vuelta-Sieger peilt heuer das erste Double aus Tour- und Giro-Sieg seit Marco Pantani 1998 an.

Froomes Antreten soll die Veranstalter zusätzlich zu den rund zehn Millionen Euro für Austragung, Sicherheit und Logistik rund zwei Millionen gekostet haben. Mangels großer Sponsoren kam der kanadische Immobilienmilliardär Sylvan Adams für die Summe auf. Er emigrierte erst vor zwei Jahren nach Israel und sieht den Radsport als "brückenbildende Maßnahme" ob seiner "universellen Sprache". Am 8. Mai soll der Giro nach einem Ruhetag seine Mission längst erfüllt haben. Weiter geht es auf Sizilien. (Fabian Sommavilla aus Jerusalem, 30.4.2018)