Krems – Bewegende Auftritte bei einem Festival finden leider oft dann statt, wenn es niemand bemerken will. Bei Kaiserwetter am Samstagnachmittag in die sehr gut abgedunkelten Minoritenkirche in Krems/Stein zu gehen, hat sich im Falle des US-Soulsängers Willis Earl Beal alias Nobody trotzdem gelohnt.

Mit einer Mischung aus Musik, Performance und bildender Kunst bespielen sechs Tage lang heimische und internationale Künstler verschiedene Orte in Krems. Es ist die zweite Ausgabe unter der künstlerischen Leitung von Thomas Edlinger.
ORF

Der lässig seine Backgroundmusik vom iPod abrufende ehemalige Straßenmusiker bewegte sich mit kraftvoller, an Klassikern wie Großmeister Otis Redding geschulter Stimme zwischen Expression und zärtlichem Flehen und erzählte dazu aus seinem früheren Leben als Obdachloser, Psychiatriepatient und Werbeclip-Musiker: "You don't have to be in tune to be in tune." Dazu wehte und pochte elektronisch mit einfachsten Mitteln generierter, verhuschter, spukartiger Geisterhaus-Soul aus einer tatsächlich endlosen Gegenwart. In der heben sich Werden und Vergehen nicht gegenseitig auf, sondern bedingen einander.

Weit weit später nach Mitternacht setzte es dann dafür von einer neu aufgestellten Supergroup der Verstörung weniger aufs Herz als auf den Frontallappen und in die Magengrube zielenden Beschwerde-, Widerstands- und Durchhalte-Dub.

Harscher Ohrenputzer-Sound

Die schon im Vorjahr in Krems solo begeisternde US-Rapperin, Spoken-Word-Künstlerin, Krachmacherin und Politaktivistin Moor Mother aus Philadelphia kombinierte ihren apokalyptischen "Slaveship Punk" gegen Rassismus mit dem wirklich sehr harschen Ohrenputzer-Sound der britischen Musikerinstitution Justin Broadrick, ehemals bei den britischen Extremmetallern Napalm Death, später Head of David, Godflesh, Techno Animal oder Jesu im Einsatz. Dazu ließ Langzeitpartner Kevin Martin alias The Bug Bässe und Beats im Zeichen von tonnenschwerem Dub fallen, die im Wesentlichen an die Unterwasserszenen im deutschen Filmklassiker "Das Boot" erinnern. Nämlich immer dann, wenn das U-Boot mit britischen Wasserminen gejagt wird. Zonal feat. Moor Mother nennt sich das Projekt. Wenn es leicht geht, sollte bitte Kevin Martin das nächste Mal zumindest den zweiten Flieger von Berlin nach Wien erwischen und nicht erst den dritten. Danke für unsere Geduld.

Zonal ft. Moor Mother beim Donaufestival in Krems.
Foto: david visnjic/donaufestival

Zum Abschluss des ersten Donaufestival-Wochenendes erzählte die knapp 70-jährige, ebenfalls früher als Straßenmusikerin aktive amerikanische Casio-Orgel-Königin und einen Wikingerhelm als Aluhut tragende Susan Dietrich Schneider alias The Space Lady vom Leben im möglicherweise mit chemischen Mitteln bereisten Outter Space, Coverversion von Peter Schillings Major Tom inklusive: "Völlig losgelöst von der Erde …"

Angst, Schrecken und Bauchmassage

Das britische Duo Demdike Stare hat beim Donaufestival mit seiner Mischung aus grobianischem Techno, imaginären Soundtracks für Tanzszenen in Horrorfilmen und pochender, wummernder und rumpelnder Bassmusik zwischen Dancehall aus Jamaika und britischen Industrieruinen schon einmal für Angst, Schrecken und Bauchmassage gesorgt. Auch 2018 ist eine konstant gute, also ungute Form zu verzeichnen, obwohl dieses Subgenre einer immerwährenden Weltuntergangs-Panikdisco während der letzten Jahre in Krems mit artverwandten Acts gut bestückt wurde und wird. Gleich anschließend ließ es dann auch die dänische Kraftsport-Elektronikerin Frederikke Hoffmeier als Puce Mary ordentlich pochen und zischeln und mittels alter Analogsounds heftig knarzen.

Puce Mary bei der Arbeit.
Foto: david visnjic/donaufestival

Im Gegensatz zu einem früheren, mit reiner akustischer Gewalt überzeugendem Set im Wiener Rhiz steigerte sie sich diesmal über ein langsam anschwellendes Mantra und "Rezitationen der Verdammnis", wie es im Festivalkatalog heißt, hin zu einem vom Ideellen her beinahe rockigen Finale im Geiste der großen Elektropunk-Überväter Suicide. Diese Musik hätte der Teufel gemacht, wenn es ihn je gegeben hätte. Wie man weiß, kommen wir Menschen aber gut ohne ihn zurecht.

Vom Teufel und anderen Ideen von Tod und Verwüstung, Morden und Brandschatzen, den Schrecken der prähistorischen und irgendwie verdammt ungut drauf wirkenden Zivilisationen in den antarktischen, von H. P. Lovecraft einst beschworenen Bergen des Wahnsinns und der kindlichen Lust daran, ein böser Junge zu sein, erzählten uns dann auch Gravetemple. Die Supergroup des Dröhnens und tektonischen Bebens tief unten südlich des Himmels, wo die Sonne nie scheint, ist um den ungarischen Metal-Gott, Donnergurgler und Dämonengrunzer Attila Csihar angeordnet.

Gravetemple, die Supergroup des Dröhnens.
Foto: david visnjic/donaufestival

Er verrichtet seine theaterbluthaltige Arbeit im Zeichen des Pfarrer- und Kindererschreckens sowie von Verstößen gegen die guten Sitten sonst hauptberuflich bei den norwegischen Black-Metal-Ungustln Mayhem. Privat ist er aber eh ein ganz Lieber. Csihar gab genüsslich seinen elektronisch multiplizierten, dramaturgisch hübsch aufgepimpten, anschwellenden Bocksgesang zum Besten und haute auf die Orchesterpauken. Stephen O'Malley von den in ganz Dröhnland bekannten Drone- und Doom-Mönchen SunnO))) schlug bedächtig die das menschliche Zeitempfinden infrage stellende verzerrte Elektrolaute auf Einakkord-Bedröhnungsbasis.

Den Rest erledigte der australische Multiinstrumentalist Oren Ambarchi mit Gitarre und diversen Effektgeräten. Die einstündige Übung in ein Ritual für einen noch zu erfindenden Kult war vor allem körperlich erfahrbar. Dass man sich bei einer antichristlichen Bauchmuskel- und Herzmassage nicht immer wohl fühlen muss, war hoffentlich allen im Saal anwesenden Leuten klar.

Gerüchte besagen, dass zu diesem Sound zumindest auf ihre körperliche Gesundheit achtende Metalfans auch gerne Yoga betreiben. Möglicherweise sind diese Gerüchte stark übertrieben. Möglicherweise ist Todesyoga auch nicht Sinn der Sache. Man könnte so viel Gutes tun. Meistens ist das Ungute interessanter. (Christian Schachinger, 30.4.2018)