An der Universidad del Valle in der Stadt Cali im Westen Kolumbiens studieren etliche frühere Farc-Kämpfer,

Foto: Alicia Prager

Auch eine Kämpferstatue findet sich an der Universidad del Valle in der Stadt Cali.

Foto: Alicia Prager

Der Schein der Taschenlampe deutet den Weg querfeldein durch den schmalen Fluss, dichter Dschungel links und rechts. Sie klettern über Steine, waten durch brusttiefe Stellen und erzählen Geschichten, wie es damals war, als Farc-Kämpfer durch die Berge zu ziehen.

Nachdem die Rebellengruppe im vergangenen Jahr ihre Waffen an die Vereinten Nationen übergeben hatte, war die erste unbewaffnete Wanderung durch den Wald unheimlich, erzählen Adrian (27) und Carlos (29). Bei jedem Knacksen hätten sie sich umgedreht, paramilitärische Verbände hinter dem nächsten Baum vermutet. Heute sind sie entspannter, sie werden die Wanderungen durch die Umgebung des Farc-Reintegrationscamps Agua Bonita im Süden Kolumbiens nahe der Stadt Florencia bald für Touristen anbieten.

Landwirtschaft und Tourismus

So wollen viele Ex-Kämpfer nun ihren Lebensunterhalt bestreiten. Sie betreiben Landwirtschaft, pflanzen Kaffee, Bananen, Yucca an und züchten Schweine, Hühner und Fische, um sich selbst in den Camps – auch ETCR genannt (auf Deutsch: territorialer Raum für Training und Wiedereingliederung) -, die sie nach und nach immer wohnlicher gestalten, versorgen zu können. Außerdem besuchen sie Schulkurse, die in den Camps angeboten werden und auf ein Studium vorbereiten. Es gilt einen Job zu finden.

Adrian will nun sein Studium abschließen. Seit 2010 studierte er Kunst und Dramaturgie an der Universidad del Valle, der öffentlichen Universität in der Stadt Cali. Als er sich der Farc anschloss, hatte das Studium Nachrang. "Meine Angehörigen sind eigentlich Bauern, aber wegen der Gewalt in der Region mussten wir in die Stadt fliehen. Ich wollte den Ungerechtigkeiten im Land nicht einfach zuschauen", sagt Adrian.

Staatliche Angst

Seit der Friedensvertrag unterzeichnet wurde, lebt er in Agua Bonita. Hier schreibt Adrian für sein Studium die Abschlussarbeit über ein Theaterprojekt der Gemeinschaft. Im ETCR Agua Bonita wirkt die Zukunft vielversprechend: Das Tourismusprojekt läuft an, vor allem die Zusammenarbeit mit den Unis funktioniert gut. "Es ist die schönste Waffe der Wiedereingliederung. Der Staat hat viel Angst vor uns verbreitet. Jetzt können wir unsere Geschichte selbst erzählen", sagt Adrian. Für ehemalige Kämpfer kann es sich schwierig gestalten, einen Job zu finden. Ein großer Teil der Kolumbianer traut ihnen nicht, sie anzustellen kommt für viele nicht infrage. Zudem haben die meisten Farc-Mitglieder keine formale Bildung abgeschlossen.

Von den mehr als 6.000 ehemaligen Kämpfern müssen laut dem Norwegian Refugee Council (NRC) fast 70 Prozent die Grundschule nachholen. Um ihre Karrieremöglichkeiten zu verbessern, eröffneten der norwegischen Flüchtlingshilferat, die norwegische Botschaft und das kolumbianische Bildungsministerium Schulen in den 26 ETCR-Zonen, die über das ganze Land verteilt liegen. Mehr als 6.500 Kolumbianer nahmen diese bereits in Anspruch: Farc-Mitglieder sowie Bewohner der umliegenden Gemeinden. Der gemeinsame Unterricht soll die Wiedereingliederung stärken. Alphabetisierungskurse bis hin zu Vorbereitungsstunden für die Universitätsreife werden angeboten.

Probleme mit Umsetzung

Doch wie in so vielen Bereichen der Implementierung des Friedensvertrags mangelte es an der Umsetzung. Etwa kam das Unterrichtsmaterial nicht oder zu spät an, erzählt Jannis Rubierno (26), die in Agua Bonita Englisch und Spanisch lehrt. Außerdem sei die Gewöhnung an das formale Bildungssystem eine große Umstellung gewesen. Immer wieder brechen Leute die Kurse ab – wie viele das genau sind, ist nicht bekannt. Manche gehen stattdessen arbeiten, weil das Geld, das sie vom Staat erhalten, nicht reicht.

Andere verlassen die Camps aus sonstigen Gründen oder halten schlichtweg nichts vom staatlichen Bildungsmodell. Das erste Hochgefühl nach der Unterzeichnung des Friedensvertrages hat einer Frustration Platz gemacht, der Staat halte sich nicht an die Abmachungen. "Viele wollen auch weiterstudieren", sagt Rubierno.

Farc als Stigma

Doch das Stigma, mit dem der Name Farc behaftet ist, wiegt schwer. Die meisten assoziieren ihn mit Entführungen und Bomben, nicht mit einer politischen Partei. "Es wird für sie ein langer Weg", sagt die 22-jährige Isabel Camargo, die an der Universidad del Valle in Cali ein Lehramtsstudium in Englisch und Französisch belegt. Ob sie mit Exkämpfern im Klassenzimmer sitzt, weiß sie nicht. Aus Sicherheitsgründen wird nicht darüber gesprochen, wer bei der Guerilla war.

Doch die Akzeptanz an der öffentlichen Universität sei groß – hier, wo Graffiti von Che Guevara, Castro und Parolen über Gerechtigkeit und Friede die Wände schmücken. "Das Problem des Landes ist die Korruption, nicht die Guerilla", sagt Camargo. An den privaten Unis hätten die Leute Geld und sähen die Guerilla als Bedrohung, sagt die Studentin.

Streit in der Familie

Eine dieser privaten Hochschulen ist die jesuitische Universidad de Javeriana, eine etwa 20-minütige Busfahrt entfernt. Ein paar Schritte hinter dem Eingang des Campus ragt eine Kirchturmspitze zwischen den Palmen hervor. Dahinter liegt ein großer Platz, an dem einige Snack-Lokale Mittagessen anbieten. In der Mitte stehen Holztische mit grünen Schirmen. Hier sitzen die Psychologiestudenten Laura Soto, 23, und Jesus Guzmán, 21. Sie erzählen von einer tiefen Polarisierung, auch zwischen den Studenten. Die beiden befürworten den Friedensvertrag und dass ehemalige Kämpfer neue Wegen suchen. "Wir haben die Chance, das Land zu verbessern. Sie gehören einfach dazu", sagt Soto. Mit ihrer Familie spricht sie nicht darüber. Das würde nur zu Streit führen, ihre Mutter hat große Angst vor der Farc. Und auch hier auf dem Campus vermeiden sie das Thema. "Einige sagen: Sie haben uns so lange bekämpft, warum studieren sie jetzt hier mit uns?", erzählt Guzmán.

Veränderung ohne Waffen

Vor allem in den Städten sitzt die Angst vor den Farc-Kämpfern tief. Ihre Welt liegt weit entfernt von den Bergen, die die Farc früher kontrollierte – so auch vom nächstgelegenen ETCR La Elvira. Eine eineinhalbstündige Motorradfahrt über eine holprige Bergstraße trennt es vom nächsten Dorf. Bis nach Cali sind es etwa drei Stunden. Warmes Wasser gibt es nicht, der Strom fällt alle paar Tage aus. Yurley Quintero sitzt eingewickelt in eine rosa Plüschdecke vor einer Holzhütte. Die heute 27-Jährige ist der Farc vor zehn Jahren beigetreten. Sie kommt aus Medellín, ist jedoch wegen Problemen in der Familie sehr jung von zu Hause weggelaufen.

Schließlich landete sie in Cali und lernte über eine Freundin ein Farc-Mitglied kennen, das ihr viel über deren Ideologie erzählte. Das gefiel ihr, sie blieb. "Aber ich hasse Waffen. Jetzt leben wir ruhiger, können studieren, da eröffnen sich neue Wege", sagt sie. Im Rahmen des Schulprojektes macht sie gerade ihr Bachillerato, das man in Kolumbien braucht, um zur Unizulassungsprüfung anzutreten. Dann will sie Zahnmedizin studieren. "Es gibt viel zu tun im Land, die Ungleichheit ist so groß. Das müssen wir ändern", sagt sie. Jetzt aber ohne Waffen. (Alicia Prager, 3.5.2018)