Der Mensch braucht einen Sinn und eine Aufgabe im Leben.

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Industrie 4.0, flexiblere Arbeitszeiten und Start-ups – das sind die Schlagwörter und Themenfelder, die in Zusammenhang mit der Arbeitswelt der Zukunft herumgeistern. Doch was bedeuten die kommenden Veränderungen für das Individuum, dessen Befindlichkeit und Seele? Schöne Überschriften hin, Technologiefetischismus her, es bleibt die Frage offen, inwiefern der Mensch oder der technologische Fortschritt im Sinne des "Speed kills"-Prinzips im Zentrum steht.

Die schöne neue Welt von Fortschrittsgewinnern wie Bill Gates über Steve Jobs bis hin zu Elon Musk ist für all jene von Vorteil, die auf der Grundlage ihres kognitiven Potenzials und der notwendigen sozioökonomischen Rahmenbedingungen mit von der Partie sein können. Doch was machen wir mit jenen, die mit dem Tempo überfordert sind und auf der Strecke zum scheinbar grenzenlosen Erfolg liegen bleiben? Oft werden jene vergessen, die mit den aktuellen Trends auf Basis mangelnder Ausbildung oder individueller Defizite ob physischer oder psychischer Natur nicht mithalten können.

Die Arbeitslosen von Marienthal 4.0

So wie die Studie "Die Arbeitslosen von Marienthal" von Marie Jahoda, Paul Lazarsfeld und Hans Zeisel 1933 darauf aufmerksam gemacht hat, welche psychosozialen Auswirkungen Langzeitarbeitslosigkeit auf die Betroffenen hat – nämlich dass diese zu Resignation führt –, so gilt es, die neuen sozialen und psychischen Effekte auf die Arbeitslosen der Zukunft zu analysieren. Wie wirkt sich das Phänomen der Digitalisierung und Automatisierung auf den Selbstwert der auf dem Arbeitsmarkt nicht mehr gebrauchten Menschen aus? Wie kann ein, so wie im Kommentar der anderen von AMS-Chef Johannes Kopf gefordertes, sinnvolles Leben gewährleistet werden?

Zwar ist die von Kopf beschriebene Vision, mit modernen Technologien die "wahren!" Kompetenzen detailliert zu erfassen und mit den Bedürfnissen der Unternehmen fast "auf Knopfdruck" zu "matchen", eher eine noble Zukunftshoffnung, gerade wenn man die Tatsache berücksichtigt, dass schon die eigene IT das AMS im Zeitalter der Digitalisierung mit gewissen Herausforderungen konfrontierte.

Noch spannender wird es da mit der Ankündigung, die "Social Skills" der Jobbewerber wirklich valide für potenzielle Arbeitgeber zu messen. Der Mensch ist eben kein Maßanzug und schon gar keine Maschine. Die Varianz humaner Persönlichkeit ist so groß, dass ein technokratisch noch so fundiertes Matching-System immer eine gewisse Fehlerquote beinhaltet, die man nicht unterschätzen sollte. Sonst würden alle Partnersuchportale in kürzester Zeit die Singlequote in der Gesellschaft drastisch reduzieren. Aber wie sagt man so schön: "An ihren Taten sollt ihr sie erkennen!"

Sinnstiftende Funktion der Arbeit

In puncto Argumentation in Richtung des bedingungslosen Grundeinkommens als Problemlösung ist dem AMS-Chef zuzustimmen. Der Mensch braucht einen Sinn und eine Aufgabe im Leben. Die sozialtheoretisch anregende Arbeit von Jahoda und ihren Kollegen brachte zutage, dass es von höchster Relevanz ist, "für die Zukunft Pläne und Hoffnungen" bewahren und entwickeln zu können. Damit eng verbunden sind der Selbstwert und die Selbstwirksamkeitsüberzeugung des Menschen.

Gesellschaft nach menschlichem Maß

Wie Ökosysteme sind auch alle Systeme, die mit Menschen zusammenhängen, sehr diffizil. Bei allen Eingriffen und gut gemeinten Optimierungen, wie diese von der aktuellen Regierung gerade geplant sind, ist immer zu berücksichtigen, welche qualitativen Effekte diese auf einzelne Schicksale haben. Das Ganze ist immer wesentlich mehr als die Summe der einzelnen Reformen. Diese Erkenntnis hat jeder, der einmal die Erfahrung gemacht hat, wie es ist, wenn die eigene berufliche Tätigkeit und Qualifikation anscheinend keinen Wert mehr hat. Daher sind die Konsequenzen ebensolcher Aktivitäten für das Klima und Sozialkapital in der Gesellschaft nicht allein durch juristische und betriebswirtschaftliche Parameter zu erfassen. (Daniel Witzeling, 30.4.2018)