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Der türkische Staatschef Tayyip Erdoğan ist am Wochenende mit einer Veranstaltung in Izmir in den Wahlkampf gestartet – mit dem Ziel, dass die Türken ihn am 24. Juni für eine weitere Amtszeit zum Präsidenten wählen.

Foto: Reuters/Handout

Der türkische Staatschef Tayyip Erdoğan ist bereits mit einer ersten Veranstaltung in Izmir am vergangenen Wochenende in den Wahlkampf gestartet. Am 24. Juni sollen ihn die Türken für eine weitere Amtszeit zum Präsidenten wählen, seiner konservativ-islamischen Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP) wieder eine absolute Mehrheit im Parlament verschaffen und mit der Doppelwahl gleichzeitig den Wechsel zum Präsidialsystem der Türkei in Kraft setzen. Für den Politikwissenschafter Howard Eissenstat ist Erdoğans Erfolg bereits arrangiert – allerdings subtiler als im Russland von Wladimir Putin.

STANDARD: Sie haben dieser Tage etwas zu den kommenden Wahlen in der Türkei getwittert: "Die Wahlen sind bereits manipuliert. Wenn das nicht reicht, wird er sie ein bisschen mehr manipulieren", haben Sie über Tayyip Erdoğan geschrieben. Und Sie nannten die Vorstellung skurril, der türkische Staatspräsident würde nach einer ungünstig ausgegangenen Wahl seine Sachen packen, still und leise den Palast verlassen und in sein Istanbuler Heimatviertel Kasımpaşa zurückkehren, "um Memoiren zu schreiben/auf einen Prozess zu warten".

Eissenstat: Ich habe einen Beitrag in der "Washington Post" und den anschließenden Tweet aus einem gewissen Überdruss über die dauernden Diskussionen über Manipulationen des Wahlsystems in der Türkei geschrieben, als ob der Wahlprozess dort tatsächlich ein Wahlprozess wäre. Ich habe versucht zu betonen, dass Erdoğan kein putineskes Ergebnis von 80 Prozent braucht. Das wäre auch nicht in seinem Interesse. Alles, was er tun muss, ist, ein bisschen am System zu drehen. Und wenn es nicht reicht, dann noch ein kleines bisschen mehr. Erdoğan will mit dem Stimmanteil für ihn gar nicht zu hoch gehen. Es würde in Wirklichkeit sein Herrschaftssystem untergraben. Er will die Opposition im Spiel halten.

STANDARD: Also wieder 51 Prozent für Erdoğan mit ein bisschen Kosmetik?

Eissenstat: Wahlen manipulieren heißt nicht einfach, gefälschte Stimmzettel in die Wahlurnen zu stopfen. Es geht auch um gleiche Bedingungen beim Zugang zur Öffentlichkeit bei der Möglichkeit, Wahlkampfversammlungen zu organisieren. In der Türkei aber ist es jetzt so, dass der Großteil der Führung der HDP (prokurdische Minderheitenpartei, Anm.) verhaftet worden ist, die Pressefreiheit massiv eingeschränkt ist, der Ausnahmezustand weiterhin gilt, die Kontrolle der Regierung über die Medien noch gefestigter ist. Dazu kommen noch eine Reihe von Reformen bei den Wahlgesetzen, die der regierenden AKP ohnehin bereits einen Vorteil verschaffen. Man kann keine freien und fairen Wahlen abhalten, wenn es keine gleichen Bedingungen für alle gibt.

STANDARD: Ihre Schlussfolgerung ist aber, dass Erdoğan gar nicht erst an eine Abwahl denkt. Es wird einfach nicht geschehen.

Eissenstat: Richtig. Erdoğan glaubt, dass er den nationalen Willen verkörpert. Er hat eine Vorstellung von der Zukunft der Türkei. Er will weitermachen. Er ist ein historischer Führer seines Landes geworden. Es ist nahezu undenkbar für ihn, dass er seine Macht durch demokratische Wahlen verlieren könnte. Auf der anderen Seite ist es aber auch schwer vorstellbar, dass es eine Machtablösung geben könnte, die nicht zu seiner strafrechtlichen Verfolgung führen würde und der Kreise von Geschäftsleuten um ihn herum.

STANDARD: Mit diesen Korruptionsvorwürfen sind die Leute ja schnell bei der Hand. Aber um was soll es da konkret gehen?

Eissenstat: Die Annahme ist, dass der Korruptionsskandal von Dezember 2013 (von der Regierung niedergeschlagen, Anm.) einfach weitergegangen ist. Dann könnten Anschuldigungen wegen der Unterstützung von Islamisten in Syrien dazukommen. Aber wir reden hier über etwas ziemlich Hypothetisches. Über eine demokratische Ablöse der Regierung, von der niemand glaubt, dass es sie geben wird. Andere Ereignisse sind daran gemessen noch eher im Bereich des Möglichen: ein weiterer Putschversuch in der Türkei, ein versuchter Mordanschlag oder – wenn die türkische Wirtschaft tatsächlich in eine tiefe Krise rutschen solle – ein versuchter Aufstand in seiner eigenen Partei. Aber es gibt keine Anzeichen, dass irgendetwas davon passieren wird.

STANDARD: Der ehemalige Staatspräsident Abdullah Gül, ein politischer Weggefährte Erdoğans, tritt nun nicht als Kandidat bei den Präsidentenwahlen an. Was sagt das über die türkische Innenpolitik und die Machtverhältnisse dort?

Eissenstat: Nach dem Verfassungsreferendum im April 2017 war klar, dass es vorgezogene Wahlen geben würde – im selben Jahr noch oder im folgenden. Die Opposition brauchte eine koordinierte Strategie, wie sie mit einer solchen Situation umgehen würde. Von dieser Strategie sieht man aber nichts. Neuwahlen lagen spätestens mit der Militärintervention in der syrischen Provinz Afrin in der Luft. Die Opposition hat die Realitäten einer Wahl in der Türkei nicht erkannt. Sie hat es nicht geschafft, die Stimmen kurdischer Wähler, die der Kemalisten, der Nationalisten zu bündeln. Abdullah Gül war als jemand gesehen worden, der diese Lager überbrückt, doch seine eigene Geschichte machte eine Kandidatur ziemlich unwahrscheinlich.

STANDARD: Also keine Chance für die Bildung einer starken Opposition gegen Erdoğan?

Eissenstat: Sie werden ohne Zweifel versuchen, sich in einer zweiten Runde der Präsidentenwahlen um einen gemeinsamen Kandidaten zu scharen. Aber ich glaube nicht, dass es eine gemeinsame Strategie gibt. Einer der Faktoren, die den Aufstieg der AKP erklären, ist, dass die Opposition in der Türkei gespalten ist. Diese Einschätzung bleibt weiter richtig. (Markus Bernath, 30.4.2018)