Das Tauziehen der im Ratsgebäude (links) tagenden Mitgliedsstaaten mit der EU-Kommission (Gebäude rechts) kann beginnen. Die Front dazwischen ist in der Regel schwer zu überwinden.

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"Das gemeinsame Europa kostet jeden Bürger so viel wie eine Tasse Kaffee pro Tag": Mit diesem Vergleich versucht Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker bei Reden zur Lage der Union, in denen es um das große Ganze geht, im Inneren wie global, gute Stimmung zu machen für die absolute Sinnhaftigkeit der EU.

Für den Einzelnen mag es einen Unterschied machen, ob der Espresso schon mal vier Euro kostet wie in Paris oder nur 50 Cent wie im flachen Land in Bulgarien. Aber dass Probleme wie Klimaschutz, Kontrolle der EU-Außengrenzen, Handelsstreit mit den USA, die Bewältigung der illegalen Migration und die Förderung armer Regionen die Kapazität der einzelnen EU-Staaten übersteigen, wird kaum jemand bestreiten. Das gilt besonders für die vielen kleinen Staaten.

Kaffee und mehr

Die gute Frage ist, was das alles kostet und ob das Geld tatsächlich für sinnvolle Dinge verwendet wird. Vor allem: Wer zahlt wie viel von der gemeinsamen Rechnung? Wer bekommt dafür was? Und warum?

Der für Budget und Personal verantwortliche EU-Kommissar Günther Oettinger hat darauf eine klare Antwort: Was die EU leiste, sei nicht nur den Gegenwert einer Tasse Kaffee pro Tag wert. Die EU-Bürger könnten auch ruhig noch ein paar Cent drauflegen, damit die Gemeinschaft die Herausforderungen der Zukunft bewältigen könne.

Tweet des Kommissars Oettinger zu den Verhandlungen.

Die paar Cent sind einigen aber deutlich zu viel. Vor allem Sebastian Kurz stößt sich an der geplanten Ausweitung der Beitragszahlungen. Der Entwurf sei weit davon entfernt, akzeptabel zu sein, erklärte der Bundeskanzler der Deutschen Presse-Agentur. "Unser Ziel muss sein, dass die EU nach dem Brexit schlanker, sparsamer und effizienter wird", sagte Kurz. Diesem Ansatz trage die Kommission nicht ausreichend Rechnung. Das ist nicht zuletzt vom Timing her bemerkenswert, als die Vorschläge erst am Nachmittag präsentiert werden.

Von Migration bis Forschung

Einiges davon ist freilich längst durchgesickert. Sicherheit und Migration werden im Finanzrahmen von 2021 bis 2027 eine Priorität sein, Forschung und Entwicklung (derzeit 13 Prozent im Budget) sollen stärker gefördert werden, ebenso der Klassiker Erasmus-Stipendien für Studierende, vermehrt auch für Lehrlinge, die ins EU-Ausland gehen.

Die Mittel für die gemeinsame EU-Agrarpolitik (GAP) sollen zurückgefahren werden (derzeit 39 Prozent im Haushalt), ebenso die Ausgaben für Projekte in einkommensschwachen Regionen (34 Prozent), insbesondere in den relativ "jungen" EU-Ländern in Mittel- und Osteuropa. Das wird die Kernbotschaft sein, wenn Oettinger am Mittwoch in Brüssel seinen Vorschlag für den mehrjährigen Finanzrahmen der EU vorstellt.

Seit 1992 erstellt die Kommission solche Pläne, die einen Zeitraum von sieben Jahren abdecken. Damit soll Planungssicherheit geschaffen, aber auch die Finanzierung sichergestellt werden. Denn anders als die Nationalstaaten verfügt die EU kaum über eigene Einnahmen. Sie darf auch keine Schulden machen.

Immer wieder Zankapfel

Das EU-Budget (das jährlich vom Rat und vom EU-Parlament im Detail extra beschlossen wird) speist sich fast ganz aus Beiträgen der derzeit noch 28 Mitgliedsländer. Der aktuelle Finanzrahmen gilt bis Ende 2020, wurde 2013 beschlossen. Schon damals gab es auf Druck des britischen Premierministers David Cameron die Vorgabe eisernen Sparens. Die Staaten gestanden der EU nur knapp ein Prozent der gesamten Wertschöpfung aller EU-Staaten zu (absolut: 1.087 Milliarden Euro) – nicht viel, wenn man das mit nationalen Steuer- und Abgabenquoten jenseits von 40 Prozent vergleicht.

Dementsprechend laut ist die Klage des EU-Budgetkommissars seit Monaten. Aber: Weil Großbritannien am 29. März 2019 aus der Union austreten und als großer Nettozahler für den künftigen Budgetrahmen von 2021 bis 2027 ausfallen wird, gestaltet sich die Sache diesmal schwieriger.

Haushaltskommissar Oettinger muss viele Punkte unter einen Hut bringen.
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Oettinger muss netto zehn bis 14 Milliarden "Britengeld" kompensieren. Er will daher vorschlagen, dass dies etwa zur Hälfte durch Einsparungen, zur anderen Hälfte durch Einnahmen geschieht. Und er möchte den einen oder anderen Espresso mehr, wie der STANDARD erfuhr, um auf ein Limit von 1,1 Prozent plus des BIP zu erhöhen.

Das wird selbst aus Sicht jener großen Nettozahler, die grundsätzlich bereit sind, wegen des Brexits höhere Beiträge zu akzeptieren, nicht leicht. Frankreich und Deutschland sind die Beschleuniger, wenn es für mehr Geld auch mehr Integration und Vorteile gibt, Stichwort Festigung der Eurozone. In Berlin rechnet man mit Mehrkosten von zehn Milliarden Euro (pro Jahr), um das derzeitige Budgetniveau zu halten. Paris ist bereit, mehr zu zahlen, wenn das Thema Sicherheit und Verteidigung gestärkt wird.

  • Die Bremser: Dagegen steht aber eine größere Gruppe der kleinen und mittleren Nettozahlerländer mit Schweden, Dänemark, Finnland und Belgien, mit Österreich und den Niederlanden an der Spitze. Die Premiers Mark Rutte und Sebastian Kurz fordern Sparbudgets, wollen nicht mehr einzahlen.
  • Subventionsverteidiger: Die meisten Osteuropäer halten da frontal dagegen und drohen mit Blockade beim Finanzrahmen, der einstimmig beschlossen werden muss. Ihr Trumpf: Ohne Beschluss wird der "alte" Rahmen fortgesetzt. Dann gäbe es keine Berücksichtigung einer üppigeren Finanzierung "neuer Politiken" – besondere Förderung jener Staaten, die Flüchtlinge aufnehmen, ebenso wie zusätzliches EU-Geld zur Schaffung von Beschäftigung. Neu wären auch Kürzungen bei Subventionen, wenn ein Staat (wie Polen oder Ungarn) das Rechtsstaatlichkeitsprinzip der Union verletzt. Auch das wollte Oettinger den 28 Mitgliedern vorschlagen, samt Kürzungen in den Kohäsionsfonds.
  • Die Beifahrer: Das wäre ganz nach dem Geschmack der südlichen Länder wie Spanien, Italien und Griechenland. Sie könnten ab 2021 wieder mehr Geld aus Brüssel holen, wie vor der Erweiterung 2004/07.

Bereits unter österreichischem EU-Vorsitz ab Juli 2018 sollen die Verhandlungen beginnen. Optimisten hoffen auf einen Abschluss vor den EU-Wahlen im Frühjahr 2019, nach einem Brexit-Deal. Heftiger Streit ist vorprogrammiert. Zeit bliebe maximal bis Mitte 2020. In jedem Fall wird bis zur Einigung noch viel Wasser über die Donau und durch Europas Kaffeemaschinen rinnen. (Thomas Mayer, 2.5.2018)