Foto: Matthias Cremer

Wien – Um den 200. Geburtstag von Karl Marx am kommenden Samstag wird allerorten des großen Denkers gedacht. Doch die Kontinuität von Theoriebildung und konkreter Analyse wird von Generationen kritischer Wissenschafter betrieben. Elmar Altvater gehört im deutschsprachigen Raum zu den überragenden Vertretern der Aktualisierung Marx'schen Denkens. Seine zwei kurzen Einführungsbände "Marx neu entdecken" und "Engels neu entdecken", die vor wenigen Jahren erschienen, sind Ausdruck dieser lebenslangen Beschäftigung mit der Kritik der politischen Ökonomie. Ende 2016 war er zu einer Vortragsreihe an die Universität Wien eingeladen. Er interessierte sich sehr für die politischen Entwicklungen hierzulande.

Werdegang

Der 1938 in Kamen im östlichen Ruhrgebiet geborene und aufgewachsene Altvater studierte in München Soziologie und Ökonomie. Er wurde, nach einigen Jahren als Assistent an der Universität Erlangen, 1971 auf eine Professur für Politische Ökonomie an der Freien Universität Berlin berufen. Es war die große Zeit des Otto-Suhr-Instituts (des "OSI"), von dem bedeutende wissenschaftliche Impulse ausgingen. Damals war es selbstverständlich, sich als kritischer Kopf auch in jener intellektuellen und politischen Bewegung zu engagieren, die 1968 angestoßen wurde. Altvater war bereits vorher Mitglied des SDS, später dann im Sozialistischen Büro aktiv, mit dem in Westdeutschland die undogmatische Linke einen Raum hatte. Er war Mitglied der Grünen, die er politisch enttäuscht verließ, und später der Linkspartei, bewegte sich im Umfeld der Rosa-Luxemburg-Stiftung.

Altvaters marxistische Analysen zum Weltmarkt und zu globalen Abhängigkeiten in den 1970er-Jahren waren seiner Zeit weit voraus. Er war scharfer Analytiker der Umbrüche von 1989, des sich entfaltenden Neoliberalismus und einer sich als "Empire" konstituierenden Europäischen Union. Das gemeinsam mit Birgit Mahnkopf verfasste und 1996 erschienene Buch "Grenzen der Globalisierung" war, neben dem "nationalen Wettbewerbsstaat" von Joachim Hirsch, der wohl wichtigste Beitrag zur sich wenig später entwickelnden Kritik der kapitalistischen Globalisierung. Völlig selbstverständlich gehörte Altvater ab 2002 zu den Mitbegründern und Aktivposten im wissenschaftlichen Beirat von Attac.

Eine außerordentliche Bedeutung hatte Altvater seit Mitte der 80er-Jahre in der Weiterentwicklung des Marx'schen Werks im Lichte der ökologischen Krise. Er, der virtuos mit den wissenschaftlichen Klassikern und aktueller Literatur umging, lieferte der deutschsprachigen und internationalen Debatte entscheidendes Rüstzeug zur Formulierung einer ökologischen Kritik der Politischen Ökonomie.

Kritische Sozialwissenschaft

Im Jahr 1970 war Altvater Mitbegründer der Zeitschrift "Prokla", was die Abkürzung für "Probleme des Klassenkampfs" war und die heute den Untertitel "Zeitschrift für kritische Sozialwissenschaft" trägt. Angesichts seines Austritts aus der Redaktion vor zehn Jahren diagnostizierte er, dass der "kurze Sommer des akademischen Marxismus" ein "politisches Generationenprojekt" derjenigen gewesen sein, die um 1968 sozialisiert wurden. Dies geschah etwas zu Unrecht gegenüber den jüngeren Generationen, die sich in der Tradition der kritischen Gesellschaftstheorie verstanden und heute Professuren einnehmen. Und die "Prokla" gehört bis heute zu den versiertesten Zeitschriften im deutschsprachigen Raum.

Und doch benannte Altvater einen wichtigen Umbruch in den bundesdeutschen Sozialwissenschaften. Bald nach seiner Emeritierung und jener von Weggefährten wurden dort die kritischen Bestände unter der Formel "Das neue OSI" geschliffen. Heute herrscht dort weitgehend akademischer Normalbetrieb. In Deutschland insgesamt übersetzt sich die gesellschaftlich zunehmende Aufmerksamkeit für das Marx'sche Denken nur an wenigen Orten in den Hochschulbetrieb. Entsprechend war Altvater im Jahr 2004 Gründungsmitglied der "Assoziation für kritische Gesellschaftsforschung", die bis heute versucht, kritische Theorie an den und außerhalb der Hochschulen zu organisieren. Am 1. Mai erlag Elmar Altvater einem Krebsleiden. (Ulrich Brand, 2.5.2018)