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Wahlkämpfen in der Hisbollah-Hochburg Baalbek mit einem Porträt von Hassan Nasrallah, allerdings in einer jüngeren Ausgabe. Nasrallah rief seine Stammwähler auf, unbedingt zu den Urnen zu gehen, denn die Auswirkungen des neuen Wahlgesetz sind nicht leicht einzuschätzen.

Foto: Reuters / Hassan Abdallah

Beirut/Wien – Zum ersten Mal seit neun Jahren wählt der Libanon am Sonntag wieder ein Parlament. Seit dem letzten Wahltermin am 7. Juni 2009 hat der Zedernstaat viel durchgemacht: Der Ausbruch des Kriegs im Nachbarland Syrien hat nicht nur mehr als eine Million Flüchtlinge gebracht – eine außerordentliche Belastung für ein Land mit sechs Millionen Einwohnern. Darüber hinaus hat der Kriegseintritt der schiitischen Hisbollah auf der Seite des Assad-Regimes in Syrien sowie die Radikalisierung jihadistischer sunnitischer Elemente auch die politische Spaltung gefährlich vertieft.

Fast zweieinhalb Jahre lang, von Mai 2014 bis Oktober 2016, scheiterte durch eine Pattstellung im Parlament die Wahl des Staatspräsidenten. Zweimal wurde die Legislaturperiode verlängert, die Einigung auf ein neues Wahlgesetz war extrem mühsam.

Im Juni 2017 wurde dieses Gesetz beschlossen. Seine Komplexität führt zu sehr unterschiedlichen Prognosen für das Ergebnis der Wahlen am Sonntag. In den vergangenen Jahren war der Libanon politisch im Wesentlichen in zwei große Blöcke geteilt – schiitische Hisbollah und Verbündete (Allianz des 8. März); sunnitische Zukunftsbewegung und Verbündete (Allianz des 14. März), die mit Saad Hariri den Premier stellt. Die Abkehr vom alten Mehrheitswahlrecht hin zu einem proportionalen System mit Vorzugsstimmen stellt nicht nur alte Allianzen infrage, es heizt auch die Konkurrenz innerhalb der Parteien an.

Neue Kräfte, alte Eliten

Der neue Modus soll einerseits neuen Listen und Akteuren eine Chance geben, die anlässlich der Lokalwahlen 2016 entstanden sind. Eine Kandidatur ist jedoch relativ teuer. Auch deshalb wird erwartet, dass, auch wenn die Korrosion der Blöcke eingesetzt hat, sich doch wieder die traditionellen Eliten durchsetzen. Das neue Wahlgesetz bricht auch die Konfessionalisierung der politischen Landschaft nicht auf, sondern bekräftigt den Proporz. Manche Beobachter rechnen durch die Neuziehung der Wahlbezirksgrenzen sogar mit einer Vertiefung der religiösen Bruchlinien.

Die Gemengelagen sind in den einzelnen Wahlbezirken – nur mehr 15 statt früher 26 – sehr unterschiedlich. So ist etwa Premier Hariris Zukunftsbewegung in einigen Bezirken mit der Freien Patriotischen Bewegung von Präsident Michel Aoun alliiert – und diese ist ja wiederum sozusagen mit der Hisbollah verpartnert. In den meisten Prognosen wird vorausgesagt, dass Hariri zu den Wahlverlierern gehören könnte, so wie der Druse Walid Jumblatt, der viel lokale Konkurrenz hat.

Was die Hisbollah betrifft, sind die Voraussagen unterschiedlich: Manche sehen sie als Profiteur des Systems, weil sie besonders geschickt war, lokale Allianzen zu schließen. Aber auch die schiitische Partei unter Hassan Nasrallah gab sich diesmal im Wahlkampf deutlich mehr Mühe – ein Zeichen, dass man sich nicht so sicher ist.

Anti-Hisbollah-Schiiten

Im Süden des Libanon hat sich eine Gruppe von Hisbollah-kritischen Schiiten unter dem (frei übersetzten) Namen "Genug der Worte" zusammengetan. Ein prominenter Kandidat der Partei, der Journalist Ali al-Amin, wurde jüngst von einem Schlägertrupp attackiert, er beschuldigt die Hisbollah. Al-Akhbar wiederum, ein Hisbollah-freundliches Medium, "enthüllte" zuletzt, die Gruppe würden von den Vereinigten Arabischen Emiraten finanziert. Die externen Schutzmächte – Iran für die Hisbollah, Saudi-Arabien für die Partei Hariris – sind im Libanon ohnehin immer dabei.

Um die 128 Parlamentssitze bewerben sich 976 Kandidaten, davon sind 111 Frauen. Letzteres ist ein signifikanter Anstieg von 2009, da waren es zwölf. Es gibt eine lange Liste von Promis, die sich neu in die Politik wagen. Und diese Wahl wird auch den Einstieg der nächsten Generation von Politikertöchtern und -söhnen sehen, im Libanon mit der langen Kontinuität "politischer Familien" weiter nichts Ungewöhnliches.

Die Opposition zu den eingesessenen Parteien hat versucht, Koalitionen zu bilden, um nicht einzeln unterzugehen, so wie die "Heimatallianz", die national antritt und lokale Listen zusammenführt. Eine davon ist etwa die "Du stinkst"-Bewegung: ein Produkt der großen Müllkrise von 2015, die ja seitdem immer wieder aufgepoppt ist. Überhaupt interessieren Themen des täglichen Lebens – und das Versagen des verkrusteten politischen Systems bei der Problemlösung – die Wähler und Wählerinnen am meisten.(Gudrun Harrer, 3.5.2018)