Ein 3D-Sensorsystem soll bei der Pflege eingesetzt werden – und mögliche Stürze rasch erkennen

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Neue Technologien sollen das Leben älterer Menschen vereinfachen – und den Pflegeaufwand für Familien und Staat reduzieren. Auch in diesem Bereich ist der Einsatz von künstlichen Intelligenzen (KI) in der derzeitigen Ausprägung des maschinellen Lernens eine Schlüsseltechnologie. Sie hilft den technischen Systemen etwa, die Bewegungen des Menschen interpretieren zu lernen.

Ein Pionier in diesem Bereich ist Cogvis, ein Spin-off-Unternehmen der TU Wien, das in den vergangenen Jahren und in mehreren von der Förderagentur FFG unterstützten Projekten ihre "smarte" Sensortechnologie zur Marktreife geführt hat. Ihr Produkt Fearless, das 2018 für Pflegeheime und später auch für Privathaushalte verfügbar wird, dient der automatischen Sturzerkennung. Das Prinzip: Mithilfe eines 3D-Sensors werden Bewegungen analysiert, um beim Sturz Alarm zu schlagen.

"Der 3D-Sensor wird einfach wie eine Lampe in einem Zimmer montiert und kann leicht in bestehende Notrufsysteme eines Pflegeheims integriert werden", erklärt Rainer Planinc, der gemeinsam mit den Gründern Michael Brandstötter und Martin Kampel das junge Unternehmen führt. Die Sensoren liefern keine Kamerabilder, auf denen Personen identifiziert werden könnten, und die Daten werden lokal und nicht auf zentralen Servern ausgewertet – beides Aspekte, die im Hinblick auf den in diesem Bereich sehr wichtigen Datenschutz relevant sind, betont Planinc.

Automatische Szenenanalyse

Die eingesetzte "Structured Light Camera" projiziert einen für das menschliche Auge unsichtbaren Infrarotpunkteraster in den Raum, entsprechende Sensorik nimmt die Reflexionen an Objekten und Menschen wahr. "Aus den laufenden Abweichungen im Punkteraster durch Bewegungen werden 3D-Bilder der Menschen im Raum", erklärt Planinc. Diese Daten werden ständig auf Bewegungsformen hin analysiert, die einer gestürzten Person entsprechen.

Hier kommt auch das maschinelle Lernen ins Spiel. Das System hat auf Basis einer Trainingsdatenbank aus Aufzeichnungen tausender realer und simulierter Stürze gelernt, bei welchen Bewegungsformen ein Alarm erfolgen soll. Das System sei genau genug, um Stürze von anderen bodennahen Bewegungen unterscheiden zu können, erklärt Planinc – auch wenn die menschlichen Körper dabei zu einem großen Teil von Möbelstücken verdeckt werden. "Die Trefferquote liegt bei über 95 Prozent", resümiert der Cogvis-Chef.

Die Analyse der Szene ist zudem nicht auf Stürze beschränkt, sondern kann auch zu deren Prävention dienen. "Das System kann erkennen, wenn eine Person gerade vom Bett aufsteht. In diesem Fall kann das Licht eingeschaltet oder das Pflegepersonal alarmiert werden, um die Sturzgefahr zu verringern", erläutert Planinc.

Spielend trainieren

Mit der Technologie hinter Fearless bringt sich das Unternehmen auch bei weiteren, durch EU-Fördermittel unterstützten Forschungsprojekte ein, die Hilfstechnologien für ältere Menschen zum Thema haben. Im Rahmen von Entertrain arbeitet Cogvis etwa an Spielen, die die Fitness älterer Menschen verbessern sollen. Der wandmontierte Sensor, ergänzt durch einen weiteren an einem Monitor, dient dabei dazu, die Bewegungen der Person zu interpretieren und als Eingabe für die Spiele zu verwenden. "Die Patienten arbeiten etwa mit einem Theraband. Indem man es dehnt, steuert man einen Fisch am Bildschirm, um Perlen einzusammeln", gibt Planinc ein Beispiel für ein Spiel. Die Anwendungen, die auch von Physiotherapeuten für ihre Arbeit evaluiert werden, können etwa beim Training spezieller Muskelgruppen helfen. Selbst standardisierte physiotherapeutische Tests können mit dem System umgesetzt werden, betont Planinc.

Ein weiteres Anwendungsgebiet der Cogvis-Sensorik ergab sich in der Arbeitsmedizin. Im Projekt Wellbeing wird die Sensorik auf dem Bildschirm von Arbeitnehmern angebracht, um eine Woche lang kontinuierlich Ergonomiedaten zu erheben. Aus den Daten – Planinc betont, dass diese niemals für Arbeitgeber zugänglich sind – wird automatisiert ein physiotherapeutischer Haltungsreport erstellt, der als Basis für individuelle Gesundheitsmaßnahmen dient. Klar wird: Die Qualität der technologischen Unterstützung steigt an, wenn die Systeme mit ihren Sensoraugen auch zu interpretieren lernen, was sie aufnehmen. (pum, 6.5.2018)