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Wer seinen hundertsten Geburtstag erlebt, für den ist die Verrentung der Lebensversicherung wohl zu einem einträglichen Geschäft geworden.

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Langlebigkeitsrisiko nennen es Assekuranzen, wenn es darum geht, eine Lebensversicherung in monatliche Rentenzahlungen umzumünzen. In gewissem Sinn ist eine solche Polizze nämlich eine Wette zwischen Anbieter und Versicherten zu deren Lebenserwartung. Wird ein Kunde älter als von der Versicherung erwartet, ist das von ihm einbezahlte Kapital aufgebraucht und sie muss die laufenden Rentenzahlungen aus eigener Tasche berappen. Daher, so der Vorwurf des Vereins für Konsumenteninformation (VKI), würden die Assekuranzen mit zu hohen Lebenserwartungen kalkulieren.

Zu deren statistischer Ermittlung werden sogenannte Sterbetafeln herangezogen. Diese sagen aus, mit welcher Wahrscheinlichkeit eine Person in einem gewissen Alter vor ihrem nächsten Geburtstag ableben wird. Auf dieser Basis ist es für den VKI-Finanzexperten Walter Hager jedoch nicht nachvollziehbar, dass bei mancher Polizze das eingezahlte Kapital erst im Alter von 90 oder 92 Jahren aufgebraucht sein soll – also der Versicherungsnehmer erst ab dann die erwähnte Wette gegen die Versicherung gewinnt.

Trend wird berücksichtigt

"Dem kann man aus sachlicher Sicht nicht zustimmen", entgegnet Paul Huss, Aktuar der Wiener Städtischen Versicherung. Denn die Volkssterbetafel der Statistik Austria stelle den damaligen Ist-Zustand rund um die letzte Volkszählung dar, also den Zeitraum 2010 bis 2012. Der Trend, dass der Versicherte bis zur Verrentung seiner Lebenspolizze immer älter werde, bleibe unberücksichtigt, weshalb die Sterbetafel für Erlebensversicherungen Huss zufolge ungeeignet ist.

Deshalb werde die Sterbetafel der Aktuarvereinigung Österreichs AVÖ, der Interessenvertretung der Versicherungsmathematiker, herangezogen. "Die berücksichtigt den Trend der Lebenserwartung", erklärt Huss. Die Tafel, die auf der AVÖ-Homepage einsehbar sei, werde alle paar Jahre von einer Arbeitsgruppe auf ihre Korrektheit überprüft, was zuletzt 2016 zugetroffen habe, und gegebenenfalls angepasst.

"Es sind auch keine riesigen Puffer für Versicherungen in den Tafeln enthalten", sagt Huss unter Verweis auf Vorgaben der Finanzmarktaufsicht und der AVÖ. Sollte sich der einberechnete Trend bei der Lebenserwartung als zu stark erweisen, werde der entstandene Gewinn mit den Versicherungsnehmern geteilt. Konkret würde die Versichertengemeinschaft Huss zufolge 85 Prozent erhalten.

VKI-Experte Hager kritisiert jedoch, dass nicht 100 Prozent an die Versicherten gehen. Zudem sei das Vorgehen intransparent, derartige Berechnungen würden nicht offengelegt. Versicherungsnehmer hätten auch keinen Rechtsanspruch zu erfahren, was mit dem Deckungsstock passiere. Auch der VKI bekommt Hager zufolge, wenn überhaupt, dann nur im Zuge eines Gerichtsverfahren Einblick. Auch die Verwendung allgemeiner Sterbetafeln kritisiert er, da diese für die Gesamtbevölkerung gelten würden. Eigentlich seien die Werte auf die Versichertengemeinschaft abzustellen.

Keinen weiteren Puffer

Schlagen die Versicherer etwa noch einen weiteren Sicherheitspolster auf die AVÖ-Sterbetafel drauf? "Nein, es gibt keinen Puffer", sagt Städtische-Aktuar Huss für sein Haus. Für andere Anbieter könne er zwar nicht sprechen, aber ein Produktvergleich, also das Verhältnis von Prämie zu garantierter Leistung, würde dies offenbaren. "Das regelt der Markt", ergänzt der Versicherungsmathematiker.

Bei einer Ablebensversicherung, wo im Gegensatz zur Rentenversicherung das Risiko des frühen Todes bei der Assekuranz landet, räumt Huss hingegen "einen gewissen Risikopuffer" ein. Und zwar dadurch, dass dafür sehr wohl die Volkssterbetafel 2010-12 herangezogen wird, wo die Erhöhung der Lebenserwartung bis heute unberücksichtigt bleibt. Allerdings würden am Markt fast lückenlos Rabatte bei den Prämien gewährt. Ein Vorgehen, das in Hagers Augen zu "noch mehr Intransparenz" führt. Wie könne es dann bei einem im Vergleich zur Rentenversicherung simplen Produkt zu Preisunterschieden von 200 bis 300 Prozent kommen, fragt der VKI-Experte. (Alexander Hahn, 6.5.2018)