Die britischen Dancefloor-Melancholiker New Order definieren im Rahmen der Wiener Festwochen Songs ihres Katalogs neu. Zu sehen an zwei Abenden im Museumsquartier.

Foto: Nick Wilson

Die Melancholie fristet auf dem Dancefloor traditionell ein Außenseiterdasein. In der Disco regiert die gute Laune: I Will Survive von Gloria Gaynor anstatt The End von den Doors. Die britische Band New Order aber, die machte die Melancholie tanzbar. Immerhin schrieb sich ihr die Traurigkeit in die Bandbiografie ein. Am Beginn einer Weltkarriere unter dem Namen Joy Division erhängte sich ihr Sänger Ian Curtis. Das war im Mai 1980 – die Band aus Manchester stand unter Schock.

Doch anstatt aufzuhören, definierte sie sich neu, wandte sich von der gefrorenen Verzweiflung Joy Divisions ab, hin zu einer Musik, die Lebensfreude mit dem Trauerflor am Arm ermöglichte. Das dauerte ein wenig, doch spätestens mit dem Welterfolg ihrer Single Blue Monday (1983) stand die Band mit beiden Füßen in ihrer zweiten Karriere, wuchs zu einer der wichtigsten Synthie- und Popbands der 1980er-Jahre, deren Musik heute zum Weltkulturerbe zählt. Punkt.

Nun kommen New Order zu den Wiener Festwochen. Ein normales Konzert wäre schon Anlass zur Vorfreude, doch das wäre ein bisschen, nun ja, normal. Nein, New Order präsentieren zusammen mit dem britischen (Allround-)Künstler Liam Gillick das Projekt "?(No,12k,Lg,18Wfw) New Order +Liam Gillick: So it Goes".

Unter der musikalischen Leitung von Joe Duddell unterziehen sie Songs aus dem New-Order-Katalog einer Neudefinition. Zu erleben am 12. und 13. Mai in der Halle E des Wiener Museumsquartiers um jeweils 20 Uhr.

Dazu fahren Gillick und Duddell ein zwölfköpfiges Synthesizerorchester auf, das in einer von Gillick entworfenen Bühnenarchitektur seine Wirkung entfalten wird: Sound and Vision.

Synthie-Orchester

Dabei hält Gillick an der Ästhetik der 1980er-Jahre fest, am Minimalismus, den New Order über ihre Musik und die Plattencover ihrer Alben mitgeprägt haben. Im Livekontext einer New-Order-Show bedeutet das eine raumgreifende Installation aus Licht, Musik und einem auf zwei Ebenen verteilten Synthesizerorchester, mit dem die fünfköpfige Band Titel wie Bizarre Love Triangle oder Subculture interpretieren wird.

Das Konzept aus Musik und visuellem Auftreten war der Band von Anbeginn an eingeschrieben. Der Grafiker Peter Saville übersetzte die Musik von Joy Division und New Order in Bilder, die zur Gemütsschwere Ersterer ebenso passten wie zum verhaltenen Hedonismus von New Order.

Berühmt wurde sein Design für die Maxisingle von Blue Monday. Sie war einer Floppy Disc nachempfunden, teilweise ausgeschnitten und war dafür verantwortlich, dass die Single trotz weltweiter Chartsplatzierungen ein Defizit verantwortete. Die Herstellung des Covers war zu teuer. Bis heute halten sich Saville und New Order gegenseitig die Treue.

Gillick übersetzt in seiner Arbeit die formale Strenge in eine ebenso klare Bühnengestaltung. Im Vordergrund spielt die Band, auf zwei Ebenen dahinter stehen zwölf Synthesizerspielerinnen und -spieler, die jeweils in einer Art Loge untergebracht sind. Jedes dieser Rechtecke kann verschiedenfarbig bespielt werden und verleiht mit dem Erscheinungsbild dem Vortrag eine Ästhetik, die sich beim Fundus von Aufnahmestudios genauso bedient wie bei der klassischen Disco. Zwölf Synthesizer – da fürchten Vertreter des Reinheitsgebots natürlich Unfug, aber das Gegenteil ist der Fall. New Order bleiben New Order.

Das Zutun des Orchesters verleiht manchen Eigenheiten der Band mehr Gewicht, spielt mit den Nuancen der Songs, ohne sie zu entstellen.

Hausheilige und Weltstars

New Order sind heute Bernard Sumner, Stephen Morris, Gillian Gilbert, Thomas Chapman, Phil Cunningham, mit Bassist Peter Hook hat man sich überworfen. Die Band zählt zu den wenigen, die in ihrer Karriere nicht viel falsch gemacht haben. Nicht einmal die Fußball-WM-Hymne World in Motion beschädigte das Ansehen dieser Hausheiligen der Gruftis. Wobei diese Zuschreibung längst zu kurz greift, noch an die mattschwarze Kunst Joy Divisions erinnert. New Order sind Weltstars. Wollte man ihnen unbedingt etwas ankreiden, dann, dass sie einmal 28 lange Jahre kein Konzert in Wien gegeben haben.

So gesehen leisten sie nun mit "?(No,12k,Lg,18Wfw) New Order +Liam Gillick: So it Goes" gleich doppelte Abbitte. So be it. (Karl Fluch, Spezial, 4.5.2018)