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Laut Tschechiens Präsident Miloš Zeman wurde im November in Brünn mit einer Variante des chemischen Kampfstoffs Nowitschok experimentiert.

Foto: Reuters / David W Cerny

Prag – In Tschechien ist nach Angaben von Präsident Miloš Zeman im vergangenen November ein Nervengift aus der hochgefährlichen Nowitschok-Klasse zu Forschungszwecken synthetisiert worden. "Die Menge des hergestellten Gifts war angeblich klein, und es wurde nach den Versuchen vernichtet", sagte Zeman am Donnerstagabend im Fernsehsender Barrandov.

Maria Sacharowa, die Sprecherin des russischen Außenministeriums, nahm den Ball bereits in der Nacht auf Freitag auf: Zemans Äußerungen seien der Beleg dafür, dass Nowitschok nicht nur in Russland hergestellt worden sei, schrieb sie auf Facebook. Damit sei eine der "Lügen" der britischen Regierung widerlegt, die Russland für den Anschlag auf den ehemaligen Doppelagenten Sergej Skripal und dessen Tochter im englischen Salisbury verantwortlich gemacht hatte.

Die Äußerungen des Staatschefs haben in Tschechien für heftige Kontroversen gesorgt. Petr Fiala, Chef der zweitgrößten Partei des Landes, der konservativen ODS, sagte, Zeman unterstütze mit seinen Äußerungen "die russische Propaganda". Der Vorsitzende der Bürgermeister- und Unabhängigenpartei Stan, Petr Gazdík, teilte gar mit, der Staatspräsident könne nun "ruhig als russischer Agent bezeichnet" werden.

Unterschiedliche Bewertungen

Bei dem Anschlag Anfang März war nach britischen Angaben ein Nervengift aus der Nowitschok-Klasse verwendet worden. Zeman zufolge dürfte es sich dabei allerdings um eine etwas andere Substanz gehandelt haben als jene, an der zuvor in Tschechien geforscht worden sei. Der tschechische Inlandsgeheimdienst (BIS), das Militärhistorische Institut und das Staatliche Amt für nukleare Sicherheit behaupten, es handle sich dabei überhaupt nicht um Nowitschok.

Zeman jedoch beruft sich in seiner Einschätzung auf einen Bericht des tschechischen Militärnachrichtendienstes, der "an diesem Thema näher dran" sei als die anderen genannten Institutionen. Auch das Verteidigungsministerium bestätigte später die Aussagen des Staatschefs. Die Identifizierung dieser Stoffe und der Schutz vor ihnen seien Bestandteil einer Übung der tschechischen ABC-Einheit, erklärte das Amt.

Nowitschok würde "in einem speziellen Labor unter strengen Sicherheitsvorkehrungen im Ausmaß von maximal ein paar Mikrogramm synthetisiert". Nach den Tests seien die Stoffe immer sofort liquidiert worden. Sie würden nie deponiert, sodass die Wahrscheinlichkeit eines Lecks gleich null sei, versicherte das Ministerium. So verfahre man mit einer ganzen Reihe an Giften. Die Menge sei zudem so gering gewesen, dass die Synthetisierung nach internationalen Maßstäben nicht einmal als "Herstellung" gelte.

Zeit und Ort bekannt

Das Experiment habe laut Zeman in einem militärischen Forschungsinstitut in Brünn stattgefunden. "Wir wissen, wo, wir wissen, wann, also wäre es Heuchelei, so zu tun, als sei nichts geschehen", sagte der 73-jährige Staatschef. "Mich würde es überhaupt nicht stören, wenn bei uns Nowitschok getestet worden wäre", fügte er hinzu. Tschechiens Armee verfüge über eine "hervorragende Antichemiewaffeneinheit", die Informationen über "neue Giftstoffe" benötigen würde.

Die Nowitschok-Gruppe war allerdings bereits in der früheren Sowjetunion entwickelt worden. Nach Einschätzung von Fachleuten sind nur wenige Labors in der Welt in der Lage, mit derart gefährlichen Nervenkampfstoffen zu arbeiten.

Russlandfreundlicher Staatschef

Zeman, der im Jänner vom Volk für eine fünfjährige Amtszeit wiedergewählt wurde, gilt als russlandfreundlich – und liegt damit bisweilen mit der Regierung von Premier Andrej Babiš über Kreuz. Im November war Zeman im Schwarzmeerkurort Sotschi mit Kremlchef Wladimir Putin zusammengekommen. Einen Monat zuvor hatte er die völkerrechtswidrige Annexion der Krim durch Russland in einer Rede vor dem Europarat als "vollendete Tatsache" bezeichnet.

Tschechien betreibt im südmährischen Vyškov ein Nato-Kompetenzzentrum zur Abwehr von ABC-Waffen, also atomaren, biologischen und chemischen Kampfstoffen. Der frühere Warschauer-Pakt-Staat ist seit 1999 Nato-Mitglied. Die internationale Chemiewaffenkonvention verbietet unter anderem die Entwicklung und den Besitz von Chemiewaffen, schließt aber die Forschung zu Abwehrzwecken nicht aus, solange bestimmte Bedingungen und Meldepflichten erfüllt sind. (APA, schub, 4.5.2018)