Stockholm – Nach den Missbrauchsvorwürfen im Umfeld der Schwedischen Akademie wird in diesem Jahr kein Literaturnobelpreis vergeben. Das wurde am Freitagvormittag in Stockholm verlautbart. Stattdessen sollen im kommenden Jahr sowohl der Gewinner von 2018 als auch jener von 2019 bekanntgegeben werden.
"Wir halten es für nötig, Zeit zu investieren, um das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Akademie wiederherzustellen, bevor der nächste Preisträger verkündet werden kann", erklärte der Interimsvorsitzende Anders Olsson.
Nicht die erste Absage
Die Preisvergabe wird nicht zum ersten Mal abgesagt, zuletzt wurde der Nobelpreis von 1940 bis 1943 wegen des Zweiten Weltkriegs überhaupt nicht vergeben. Die jahrhundertealten Statuten der Akademie lassen auch zu, in diesem Fall im Folgejahr zwei Nobelpreise zu vergeben. Das hat die Akademie in der Vergangenheit bereits mehrmals getan.
Die Schwedische Akademie, die seit 1901 den Träger des Literaturnobelpreises auswählt, war durch Missbrauchsvorwürfe in eine tiefe Krise gestürzt. Mehrere namhafte Mitglieder, darunter die Vorsitzende Sara Danius, legten auf Wunsch der Akademie ihr Amt nieder. Später räumte auch Katarina Frostenson, gegen deren Mann Jean-Claude Arnault sich die Belästigungsvorwürfe richten, ihren Platz.
Sexuelle Belästigung
18 Frauen hatten Arnault, selbst Künstler und Leiter eines Kulturzentrums, sexuelle Belästigung vorgeworfen. Eine Untersuchung der Akademie bestätigte "inakzeptables Verhalten in Form von unerwünschter Intimität". Laut Berichten schwedischer Medien soll der Mann auch Kronprinzessin Victoria an den Po gefasst haben. Außerdem soll seine Frau über Fördergelder für den eigenen Kulturverein mitentschieden haben.
Die Akademie kappte daraufhin alle Beziehungen zu Arnault, strich die Subventionen für die von ihm geleitete Einrichtung und leitete eine interne Untersuchung ein. Sie sprach aber Frostenson mehrheitlich das Vertrauen aus – woraufhin prominente Mitglieder und schließlich auch Danius und Frostenson ihren Rückzug erklärten.
Arnault bestreitet die Vorwürfe gegen ihn. Die Stockholmer Staatsanwaltschaft hat im März erklärt, die Ermittlungen gegen ihn mangels Beweisen eingestellt zu haben.
Nur noch zehn Mitglieder aktiv
Aktuell sind damit nur noch zehn von 18 Mitgliedern aktiv. Das gefährde ernsthaft die Fähigkeit der Akademie, "ihre wichtigen Aufgaben zu erfüllen", hatte das schwedische Königshaus erklärt. König Carl XVI. Gustaf rief die Mitglieder auf, ihrer Verantwortung gerecht zu werden und die Interessen des Gremiums in den Vordergrund zu stellen. "Ich habe die Entwicklung in der Schwedischen Akademie in letzter Zeit mit großer Unruhe verfolgt", erklärte er am Mittwoch. Jetzt müsse die Akademie in Ruhe daran arbeiten können, das Vertrauen zurückzugewinnen.
Im vergangenen Jahr war der Literaturnobelpreis an den britischen Autor Kazuo Ishiguro gegangen. (red, APA, 4.5.2018)