Widmet sich der heiklen Partie der Didone: Viktorija Miskunaité.

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Der Intendant der Festwochen, Alessandro De Marchi (li.), dirigiert Mercadantes Oper "Didone abbandonata", ...

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... Regie führt Jürgen Flimm.

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Innsbruck – "Alt" ist ein relativer Begriff. Die Zeitung vom Vortag ist bereits eine alte. In der Popmusik ist ein Hit aus dem Vorjahr alt und wird, so er immer noch gespielt wird, spätestens nach einem Jahrzehnt zum Evergreen, zum Klassiker. Im Bereich der klassischen Musik muss mit größeren zeitlichen Dimensionen umgegangen werden. Der Begriff der "Alten Musik" wird gemeinhin für Klingendes aus der Zeit des Mittelalters, der Renaissance und der Barockzeit verwendet – für Musik also, deren Pflege sich die Innsbrucker Festwochen der Alten Musik seit Jahrzehnten annehmen.

In diesem Sommer wagt der Intendant der Festwochen, Alessandro De Marchi, eine Ausweitung der Zeitzone, des musikalischen Spielraums des Festivals. Als erste große Opernproduktion präsentiert der Italiener die Oper Didone abbandonata von Giuseppe Saverio Mercadante. Das zweiaktige Dramma per musica wurde im Jänner 1823 im Teatro Regio in Turin uraufgeführt. Belcanto beim Barockfestival: Macht das denn Sinn?

Ein wahrer Vielschreiber

Aber natürlich. De Marchi will mit Mercadante einen in die Vergessenheit geratenen Komponisten präsentieren, den man gleichzeitig als Endpunkt, als letzten Ausläufer der Neapolitanischen Opernschule betrachten kann. Nach den in Innsbruck präsentierten Opern wie Francesco Provenzales La stellidaura vendicante (1674), Nicola Porporas Germanico in Germania (1732) und Giovanni Battista Pergolesis L'olimpiade (1735) stellt Mercadantes musiktheatralische Verarbeitung der Geschichte von Dido und Aeneas das Ende einer Reise durch eineinhalb Jahrhunderte neapolitanischer Operngeschichte dar.

Saverio Mercadante (1795-1870) war als Direktor der Konservatoriums und der Oper San Carlo einer der prägenden Musikerpersönlichkeiten Neapels. Der bienenfleißige Vielschreiber konnte schon früh Erfolge feiern, sein Opernerstling L'apoteosi di Ercole wurde 1819 am Teatro San Carlo mit Starbesetzung aufgeführt. In San Carlo war Mercadante auch von 1823 bis 1825 Hauskomponist, in der Nachfolge von Gioacchino Rossini, der seinen Kollegen schätzte. Mercadantes spätere "Reformopern", die den Belcanto in Richtung des "Canto dramatico" modifizierten, hatten wiederum Vorbildwirkung für einen jungen Komponisten namens Giuseppe Verdi.

Mercadantes frühere Belcanto-Opern sieht De Marchi auf Augenhöhe mit Werken von Bellini und Donizetti. Von diesen hat der Barockexperte ebenfalls eine profunde Kenntnis: So hat der gebürtige Römer etwa schon mit Cecilia Bartoli Bellinis La sonnambula aufgenommen. Das Orchester ist zwar, verglichen mit dem barocken Repertoire, etwas stärker besetzt, doch die Machart der Arien und die dafür erforderliche Gesangstechnik unterscheiden sich nicht wesentlich von jener der Barockzeit.

Apropos Arien: Die sind in Didone abbandonata natürlich von höchster Kunstfertigkeit und Schwierigkeit. Speziell die Partie der Didone, der liebesleidgeprüften und letztendlich verlassenen karthagischen Königin, ist mit ihrem extremen Figurenreichtum "a schware Partie" für die Interpretin. Viktorija Miskunaité tut sich die Arbeit an, diese zu studieren; die gefeierte Sängerin des Litauischen Nationaltheaters nimmt hiermit ein bisschen Urlaub von den Manons, Mimìs und Violettas, die sie sonst verkörpert. Mezzosopranistin Katrin Wundsam schlägt als an der Königin nicht sonderlich interessierter Enea Wunden in die Seele der Didone.

Ein Stoff von Vergil

Mercadante hat bei der Vertonung des Vergil-Stoffs auf ein frühes Libretto von Pietro Metastasio zurückgegriffen, das damals fast hundert Jahre auf dem Buckel und dutzende musiktheatralische Umsetzungen hinter sich hatte. Andrea Leone Trottola zimmerte das Textbuch nach Mercadantes Wünschen leicht um und passte es den Verlaufsschemata einer Belcanto-Oper an.

In Metastasios Libretto spielt der Mohrenkönig Jarba eine größere Rolle als etwa in Nahum Tates Textbuch zu Henry Purcells Dido and Aeneas. Jarba wirbt um Didone, die liebt jedoch Enea, der sich auch für Didones Schwester Selene interessiert. In Innsbruck wird Carlo Allemano den Jarba geben und Emilie Renard die Selene. An Regie-Altmeister Jürgen Flimm wird es gelegen sein, das Geflecht von Liebes- und Machtansprüchen packend und stimmig zu inszenieren. Alessandro De Marchi wird zusammen mit seiner Academia Montis Regalis versuchen, Belcanto-Oper nicht wie üblich im Rückblick der symphonischen Orchesterbehandlung der romantischen Oper zu interpretieren, sondern von deren Vorgeschichte her, von der Barockzeit. Man darf gespannt sein, mit welchen alten Hörgewohnheiten De Marchi bricht, welche neuen sich an ihrer Stelle auftun werden. (Stefan Ender, Spezial, 5.5.2018)