Mit knappen Texten auf dem Weg zum Ruhm, der Wiener Rapper Yung Hurn: "Alle hassen uns, aber sie schauen."


Foto: Lukas Gansterer

Auf seinen Bauch ist eine Zahl tätowiert. "1220" steht da in großen Lettern. Das wird 30 Kilo später einmal interessant aussehen, doch im Moment ist das noch nicht wichtig. Heute ist er jung und schön. Also eigentlich "yung" und schön, denn er ist Yung Hurn.

1220 lautet die Postleitzahl des 22. Wiener Gemeindebezirks, der Donaustadt. Dort kommt er her, deshalb heißt sein jetzt erschienenes Debütalbum genauso: 1220. Bislang veröffentlichte Yung Hurn im Netz Mixtapes und Kompilationen, 1220 ist so etwas wie ein erstes reguläres Album.

Live From Earth

Yung Hurn ist ein Wiener Rapper. Er hat mandelförmige Augen, trägt einen durchsichtigen Oberlippenbart, darunter ein Schmollmund. Seinen richtigen Namen hält er geheim, lieber versteckt er sich hinter einer Batterie an Aliasnamen, die je nach Laune und Resthirnfunktion wechseln: Yung Süßi, Donaustadt Loco Boy 69, irgendwas mit Falco ... – das nährt Spekulationen rund um seine tatsächliche Identität, macht neugierig und interessant. Abgeschlossenes Kunststudium heißt es dort – er kennt immerhin John Cage -, Schulabbrecher, der bei Mutti wohnt, hier oder arbeitsloser Foodora-Biker anderswo.

Alles ins Netz

Yung Hurn ist der Star einer heimischen Hip-Hop-Szene, die sich in den letzten Jahren im Netz etabliert hat. Zentral sind dabei der seit 2011 existierende Hanusch Platz Flow aus Salzburg sowie die Künstlergemeinschaft Live From Earth in Berlin. Beides sind sogenannte Crews. Also ein loser Verband von Rappern und Produzenten mit personellen Überschneidungen. Aus ihnen wuchsen in den letzten Jahren Acts wie Ernst Palicek (Summer in Wien), Crack Ignaz (König der Alpen) und andere mehr.

Sie verbindet ein von Historie befreiter Zugang zum Hip-Hop. Das Zentralgestirn des Hanusch Platz Flow ist Young Krillin. In einem Online-Interview spricht er über die Produktionsmethoden: einfach alles ins Netz stellen und schauen, was verfängt. Nicht ewig üben und dann eitel das Beste präsentieren.

Live From Earth

Diese Do-it-yourself- und Nix-scheißen-Haltung ist Punk in Reinkultur. Hip-Hop ist nur das zeitgenössische Gefäß, in das sich diese Haltung entlädt, Youtube ihr Vertriebskanal in die Welt, das Smartphone die Anbindung der Endverbraucher.

In dieser Welt ist Yung Hurn heute ein millionenfach abgefragter Regent, seine Kunst der heiße Kot. Gleichzeitig entfacht sich ob der exotischen Exzentrik dieser Musik eine Diskussion darüber, wie viel Hip-Hop das überhaupt sei. Sinnlos.

Yung Hurns Arbeit bezieht seine ästhetische Inspiration bei dem US-Rapper Lil B und dessen verstrahltem Cloud Rap. Die Begriffe sind mehr oder weniger zu vernachlässigen – Cloud Rap umschreibt lediglich eine sehr legere Produktionsarbeit, oft mit rachitischen Synthesizern. Dazu nölt Yung Hurn seine Texte. Manchmal versteht man sie, dann wieder nicht. Es sind skizzenhafte Einzeiler über das Leben, die Party, Shopping, Geld und die Freude an der Blasmusik. Er tippt sie am Smartphone, sitzen sie nicht nach wenigen Minuten, verwirft er sie.

Gut gespielte Bewusstlosigkeit

Yung Hurn verkörpert den laschen Gangsta. Das Ziel ist, 1 Berg Money zu lukrieren – aber bitte ohne Anstrengung. An katerfreien Tagen bricht ein wenig Macho-Attitüde in die Raps des geschätzten Mittzwanzigers, aber die gilt es natürlich zu vermeiden, die katerfreien Tage.

Yung Hurns Stream of Consciousness ist deshalb oft ein Wortschwall am Rande einer gut gespielten Bewusstlosigkeit. Der Slang seiner Hood gebiert einen abgedrehten Humor – ohne den wäre die Musik möglicherweise schwer zu ertragen. Sie prägt eine Form der Ökonomie, die an die Simplizität des kleinen Einmaleins grenzt. Was nicht gegen sie spricht, sie bloß beschreibt.

Live From Earth

"Alle hassen uns, aber sie schauen", rappt Yung Hurn diesbezüglich und selbstbewusst. Sie schauen ist ein Track, auf dem er in Spielereien mit dem Auto-Tune kippt, diesem Stimmkorrekturtool aus dem Computer, das ein geschraubtes Kunstfalsett zeitigt. Gleichzeitig drückt es den Kitschquotienten der Musik nach oben, der Gangsta wird weich. Dann kommen schon einmal die Mama vor und das lässige Baby, das er gerade beglückt. Nennen wir es Romantik. Eine, die erblüht, wenn nach einer zünftigen Wodkaverkostung noch einige Näschen Wiener Linien nachlegt werden und die Libido für einen Quickie aus dem Koma holen.

Was weiß Arte?

Der Schmäh zieht. Die einschlägige Community liegt ihm grenzüberschreitend zu Füßen, ein deutscher Modeversandhandel lässt den laschen Helden für sich werben. Gleichzeitig ziert er sich vor der Öffentlichkeit. Ein Interview? "Das wird sehr, sehr schwierig", sagt seine Berliner Agentur. Anfragen via Facebook? Keine Antwort. Der Kulturkanal Arte könnte etwas gegen ihn in der Hand haben, dort trat er schon öfter als Gast in Erscheinung. Irgendwie wird er sich arrangieren müssen. Denn die Anfragen werden mit 1220 nicht weniger werden. Yung Hurns Act erblüht hier zur Meisterschaft. Er brüstet sich, so schöne Haare wie Karl-Heinz Grasser zu haben. Wer widerspricht, empfängt ein hingerotztes "Haltenmundulügst". Darauf ein bettschweres "Yo!", eh. (Karl Fluch, 5.5.2018)