Noch eine Woche bleibt bis zum Termin, an dem US-Präsident Donald Trump über das Schicksal des 2015 in Wien abgeschlossenen Atomdeals mit dem Iran entscheidet: Wenn er die Aufhebung gewisser US-Sanktionen gegen den Iran am 12. Mai nicht verlängert, dann scheiden die USA aus der Abmachung aus, auch wenn sie für die anderen Beteiligten weiter gilt – Iran auf der einen Seite, die EU, Großbritannien, Frankreich, Deutschland, Russland und China auf der anderen. Eine strenge Begrenzung und Kontrolle des iranischen Atomprogramms gegen die Aufhebung der Strafmaßnahmen gegen den Iran: Das ist der Deal.
Trump hat den Kompromiss mit dem Iran immer kritisiert. Gemessen an den Tönen, die er im Wahlkampf anschlug, ist er länger dabei geblieben als erwartet. Im Jänner hat er den "sanction waiver" noch unterschrieben: zum letzten Mal, wie er sagte – außer der Deal wird nachverhandelt. Die "Sonnenuntergangsklauseln", die die Beschränkungen nach etwa einem Jahrzehnt auslaufen lassen, sollen weg; hineingenommen werden sollen hingegen eine Bremse für Irans Raketenprogramm und aggressive Regionalpolitik. Da wird der Iran – wo es ebenfalls Kräfte gibt, denen das Arrangement mit dem "Satan USA" ein Dorn im Auge ist – aber nicht mitmachen.
Kein Kündigungsgrund
Nun ist es aber so, dass die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA), die mit der Umsetzung und Überprüfung des Atomdeals beauftragt ist, dem Iran dessen Einhaltung bescheinigt. Es gibt also keinen aktuellen Anlass dafür, dass die USA die von ihnen – wenngleich unter dem vom Trump-Lager verachteten Präsidenten Barack Obama – eingegangenen Zusagen brechen und international als unverlässlich dastehen. Und hier kommt Benjamin Netanjahu ins Spiel – beziehungsweise seine große "Iran lied"-Präsentation am Montag.
Hilfe von Netanjahu
Gelogen hat, wie gesagt, der Iran nicht, was den aktuellen Atomdeal betrifft. Aber es gibt starke Hinweise, dass im Iran in der Vergangenheit an militärischen Aspekten – also zur Herstellung einer Atombombe – geforscht wurde. Auch dieses Kapitel wurde zwar von der IAEA 2015 abgeschlossen. Aber es bleibt in der Welt. Auch in der Form von Dokumenten, die Netanjahu am Montag mit großem Pomp präsentierte.
Die IAEA winkte am Tag darauf ab: kenne sie alles. Wenn das eine große Dokument existieren würde, das konkrete Schritte des Iran zum Bau einer Bombe beweist, dann hätte Netanjahu es wohl hergezeigt. Aber man wird sehen, ob noch etwas auftaucht.
Dieser Tage wird sehr oft der US-Invasion im Irak von 2003 gedacht, die das Land und die ganze Region in eine noch immer anhaltende Phase der Instabilität und Gewalt gestürzt hat. Dem Krieg vorangegangen war ein Feuerwerk falscher Beschuldigungen, dass Saddam Hussein ein geheimes Atomwaffenprogramm laufen habe. Die Geheimdienste jener Staaten, die diesen Krieg wollten – auch Israel –, lieferten den Politikern im Vorfeld willig falsches Material, damit sie Atompilze in die Luft zaubern konnten.
Im israelischen Sicherheitsestablishment war, wie jetzt zum Iran, direkt vor der US-Invasion im Irak die Meinung gespalten: Manche hatten Angst vor den Folgen. Aber die Politik stand völlig hinter der Entscheidung von US-Präsident George W. Bush.
Aber der Fall Irak gibt noch viel mehr her für Vergleiche. Fast vergessen ist, dass der Irak in den 1980ern tatsächlich ein (ziemlich ineffizientes) Atomwaffenprogramm hatte. Der Irak war weit von der Bombe entfernt, als der Golfkrieg 1991 allem ein Ende setzte. Alles, was damit zu tun gehabt hatte – Ausrüstung und Anlagen –, wurde teilweise von den Irakern selbst und später von den Inspektoren der IAEA zerstört.
Dokumente waren auch beim Irak ein großes Thema, wie jetzt beim Iran. Im irakischen Atomprogramm befasste sich eine eigene Abteilung mit den Archiven. Die Dokumentation eines Atomprogramms bedeutet nicht nur das akkumulierte nukleare Wissen eines Landes, sondern enthält oft auch das Lebenswerk von Wissenschaftern und Technikern. Im Irak brauchte es nicht immer einen Befehl von oben, damit Dokumente und anderes versteckt wurden.
Dokumente sind Wissen
Als 1991 die Inspektoren ins Land kamen, begann das große Versteckspiel: nicht nur, um das Wissen zu bewahren, wenn schon das Programm selbst zerstört wurde. Die Iraker wollten auch verbergen, was sie schon alles technisch konnten oder ausprobiert hatten – und womit sie den Atomwaffensperrvertrag verletzt hatten.
Bevor die IAEA-Inspektoren im April 1991 mit ihrer Arbeit im Irak begannen, hatten die Iraker die Dokumente (schon teilweise auf Disks) aus verschiedenen Dokumentationszentren zusammengeführt. Die Dokumente wurden in drei Wagons gepackt, diese an einen Zug gehängt, der wurde auf die Reise durchs ganze Land geschickt. Als der Irak mit der IAEA zu kooperieren begann, wurden die Dokumente wieder nach Bagdad geschafft und nach und nach den Inspektoren ausgehändigt. Die letzten 1995. Aber man wusste nie: Haben die Iraker nicht noch irgendwelche Kopien?
Der kranke Inspektor
Im Irak lernte die IAEA die Jagd auf Akten: Im September 1991 war ein Team – nicht "normale" Inspektoren, sondern ein US-Spezialkommando – im Keller des Geheimdienstgebäudes in Bagdad auf Dokumente gestoßen, die die Arbeit an Waffen belegten. Die waren dort tatsächlich, wie sich herausstellte, aus Versehen deponiert. Trotz allen Bravados gelang es dem Team nur, ein einziges Waffendokument mitzunehmen, versteckt im Gewand eines erkrankten Inspektors, der sofort außer Landes gebracht wurde. Nur eines, aber der Beweis war da.
Saddam Hussein hatte nach 1991 kein Atomprogramm mehr – aber aus der Vergangenheit wurde ihm der Strick gedreht. Jeder fehlende Zettel, jedes fehlende Gramm in einer Materialbilanz war der "Beweis" dafür, dass der Irak etwas im Schilde führte. Es war nicht so schwer, 2003 einen Teil der Weltöffentlichkeit davon zu überzeugen, dass Gefahr im Verzug ist. Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht ... Aber das gilt eben auch für die einstigen Lieferanten falscher Beweise. (Gudrun Harrer, 4.5.2018)