Giro-Vorjahressieger Tom Dumoulin entschied Etappe eins für sich.

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Jerusalem – Nur langsam nahm das Rosa des Giro d’Italia in den letzten Tagen Überhand in Jerusalem – und auch das nur auf sehr begrenztem Raum. Der Veranstalter beflaggte zwar fleißig einige Straßen, die große Euphorie wie man sie aus Italien oder radbegeisterten Ländern Europas für die zweitgrößte Radrundfahrt der Welt kennt – die härteste, wie viele sagen – blieb jedoch aus. Wenige hundert Meter vom Event entfernt könnte man meinen es ist ein Freitag wie jeder andere. Die Hundertschaften an Polizei und Militär fallen auch kaum auf, kurzzeitige Straßensperren wegen "verdächtiger Gegenstände" gehören in Jerusalem zum Alltag. Nur wenige hundert Zuschauer schauten auch bei der Fahrerpräsentation am Donnerstagabend vorbei. Es waren eher Funktionäre, Betreuer, Sponsoren und geladene Gäste die beim durchaus pompösen Auftakt dabei waren.

Die paar tausend Fans die sich in der Stadt aufhalten sollen um den Giro zu verfolgen, verbindet zumeist eine rosa Giro-Schildkappe. Sie unterscheidet sie zugleich von den gelben, blauen und grünen Kopfbedeckungen, welche die zigtausenden Touristen bei den etlichen Touren in den engen, verwinkelten Gassen der Jerusalemer Altstadt tragen, um die zahlreichen religiösen Heiligtümer zu bewundern. Dass die große Begeisterungswelle in Israel, ob des größten Sportevents in der 70-jährigen Staatsgeschichte, nicht ausbrechen mag verwundert wenig, ist das Stadtbild doch kaum von Fahrradfahrern geprägt. Die wenigen Bewohner die auf zwei Rädern unterwegs sind, setzten fast ausschließlich auf E-Bikes, um die hügelige Stadt in der Sommerhitze zu bewältigen. Auch das Team der "Israeli Cycling Academy" ist noch jung und im Aufbau befindlich.

Zwischen Ärger und Stolz

"Dieser Marathon für Räder? Ein reines Ärgernis. Alle Straßen sind gesperrt", schimpft Taxifahrer Omri. Auch manch Tourist, der dem Radsport nicht viel abgewinnen kann, ärgert sich über die mühsamen Umwege aufgrund der Straßensperren in unmittelbarer Nähe des Eingangs zur Altstadt. Viele nutzen das Event aber auch für einen spontanen Abstecher und genießen die Atmosphäre im nahe beisammen gelegenen Start-und Zielbereich. Am Straßenrand halten sich dabei italienisch und hebräisch etwa die Waage, gelegentlich hört man auch die zahlreichen anderen internationalen Sprachen die man sich in einem touristischen Ort wie Jerusalem erwartet. Zahlreiche Italiener nutzen die ersten drei Etappen in Israel für einen Kurzurlaub. Enrico, Marina und Claudio aus Sardinien jedoch betonen, dass sie eigentlich nur Ostjerusalem und ansonsten nur die Palästinensischen Autonomiegebiete besucht haben. Viele Italiener sind Israel gegenüber kritisch gestimmt, sagen sie. "Es ist ok wenn der Giro hier stattfindet. Aber es ist vor allem gut, dass durch solche Events das Israel-Palästina-Thema wieder internationale Aufmerksamkeit bekommt und man darüber diskutiert." Das Politische, das man seitens der Veranstalter auszublenden versuchte ist präsent.

Für die israelische Bevölkerung geht es wenig überraschend vor allem ums Sportliche. Für den Radfan David aus Tel Aviv ist es ein unglaubliche Ehre, dass der Giro heuer in Israel gastiert. "Ich konnte es nicht glauben, als ich es zum ersten Mal in den Nachrichten hörte. Die ganzen Fans in der Stadt, das ist einmalig. Leider kennen den Giro hier nicht so viele Menschen und leider sind unsere Fahrer noch nicht auf dem Level von Froome und Co aber es ist ein Anfang."

Diskussionen um Froomes Antritt

Die Causa Chris Froome ist generell das dominierende Thema unter den Radsportfans am Straßenrand. Soll es dem vierfachen Tour de France Champion nach seiner positiven Dopingprobe bei der Vuelta a España 2017 – die er ebenfalls gewann – erlaubt sein zu starten? Froome war im vergangenen Herbst der Stoff Salbutamol nachgewiesen worden. Der Wert war doppelt so hoch wie erlaubt, auch wenn das in Asthmamitteln enthaltene Präparat nicht per se verboten ist, es gibt Sondergenehmigungen für Asthmatiker. Froome selbst argumentiert, dass seine Anwälte beweisen können, dass der erhöhte Wert in seinem Körper natürlich zustande kam. Bis der Schiedsspruch fällt, gilt Froome als unschuldig. Wann die Entscheidung fällt ist unklar. Die Konkurrenz zeigt deshalb wenig Verständnis. Es könnte schließlich sein, dass Froome als Führender aus dem Rennen genommen werden muss, oder gar im Nachhinein einen etwaigen Giro-Titel wieder aberkannt bekommt.

Bei einer Pressekonferenz am Mittwochabend im Luxushotel Waldorf Astoria sagte Froomes größter Konkurrent um den Giro-Sieg, der niederländische Titelverteidiger Tom Dumoulin: "Es ist seine Entscheidung. Ich habe schon einmal gesagt: Mein Team [Sunweb, Anm.] ist Teil der MPCC – darum wäre ich in seiner Situation nicht hier." Das "Mouvement pour un Cyclisme crédible" hat sich dem Kampf für einen sauberen Radsport verpflichtet und sich deshalb strengere Regeln als der Weltradsportverband UCI auferlegt. Das Team Sky, dessen Kapitän Froome ist, gehört dem MPCC nicht an.

Einen Sieg Froomes erwarten dennoch viele. "Ja er wird es wohl gewinnen. Er ist der kompletteste Fahrer momentan und er wird sich den Hattrick aus Tour, Vuelta und Giro wohl holen, auch wenn mir ein italienischer Überraschungssieger natürlich lieber wäre", sagt Maurizio aus Neapel. (Fabian Sommavilla aus Jerusalem, 4.5.2018)