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Explosionsgefahr: Gerade wegen der Mischung aus Einfluss und Geheimniskrämerei standen viele der Institution zunehmend skeptisch gegenüber.

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Stockholm – Nun ist es entschieden. Am Freitagvormittag verlautete die Schwedische Akademie: Der Literaturnobelpreis wird heuer nicht, dafür 2019 doppelt vergeben. Keine Kleinigkeit, bedenkt man, dass der Preis zuletzt während des Zweiten Weltkriegs ausgesetzt wurde. Man möchte, so Interimsvorsitzender Anders Olsson, "das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Akademie" wiederherstellen.

Tatsächlich schwindet das Vertrauen in die Schwedische Akademie, die seit 1901 bis auf sieben Ausnahmen alljährlich den Preis verliehen hat. Durch die aktuellen Belästigungs- und Korruptionsvorwürfe trat zutage, wie fragwürdig ihre Strukturen schon lange sind. "De Aderton" ("Die Achtzehn"), wie sie in Schweden genannt werden, sind auf Lebenszeit gewählte Mitglieder und pflegen geradezu höfische Rituale. Wie ein Relikt aus absolutistischen Zeiten wirkt die Kulturclique im liberalen und auf Transparenz versessenen Schweden.

Vetternwirtschaft und Missbrauch

Dabei ist die Akademie die Hüterin der schwedischen Sprache – also von etwas zutiefst Demokratischem: Das Wörterbuch, das sie herausgibt, bildet etwas ab, das alle Schweden benutzen. Die Enthüllungen von Vetternwirtschaft und Missbrauch gaben vielen jedoch eher den Eindruck eines nahezu männerbündisch funktionierenden Vereins.

Der Kulturchef der Göteborgs-Posten, Björn Werner, fragte bereits, ob aus der Hand "so einer Gang" überhaupt noch jemand einen Preis haben wolle. Und es ist ja nicht nur diese "Gang", es ist auch der von ihr vergebene Preis, der immer wieder infrage gestellt wurde. Laut dem Testament Alfred Nobels soll ausgezeichnet werden, wer "das Vorzüglichste in idealistischer Richtung" geschaffen habe. Doch an den Entscheidungen gab es oft genug Kritik. Wieso bekam etwa Winston Churchill (der sich fraglos verdient gemacht hat, nur halt nicht in erster Linie literarisch) den Preis, Franz Kafka aber nicht? Die Symbolwirkung schien in den Augen der Kritiker oft wichtiger als literarische Qualität.

Schöne Entscheidungen

Dabei halten viele der Akademie zugute, weitreichende und schöne Entscheidungen getroffen zu haben, etwa mit der Auszeichnung von Autorinnen wie Doris Lessing oder Elfriede Jelinek. Verhältnismäßig unbekannten Autoren wie Patrick Modiano hat der Nobelpreis die lang verdiente Aufmerksamkeit beschert. Zugleich wird aber immer wieder ein eklatanter Überhang weißer alter Männer moniert. Prototyp hierfür wäre der Preisträger von 2016, Bob Dylan, der bekanntlich nicht einmal im engeren Sinne Schriftsteller ist.

Bemängelt wird zudem, wie unterrepräsentiert Preisträger etwa aus Indien, Afrika oder dem Nahen Osten sind. Dabei kann die Akademie manchen Ansprüchen schon rein faktisch nicht gerecht werden: 18 aus Skandinavien stammende Personen können nicht alles lesen und alle Sprachen beherrschen – auf Werke, die nicht übersetzt wurden, haben sie schlicht keinen Zugriff.

Geheimniskrämerei

Verteidiger geben zudem zu bedenken, dass es sich trotz der hehren Ansprüche um eine unabhängige Institution handelt, die private Gelder vergibt. Gerade wegen der Mischung aus Einfluss und Geheimniskrämerei aber standen viele dieser Institution zunehmend skeptisch gegenüber.

Ein gutes Jahr hat die Akademie Zeit, um sich über all das Gedanken zu machen. Sie könnte dabei eine gerade in politisch aufgeheizten Zeiten wie diesen wichtige Frage klären: Was bedeutet heutzutage eine "idealistische" Leistung auf literarischem Gebiet? Oder anders gefragt: Was kann und soll Literatur heute leisten? (Andrea Heinz, 4.5.2018)