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Unterstützer der islamisch-konservativen Ennahda-Partei feiern in Tunis in der Nacht auf Montag.

Foto: Reuters/ZOUBEIR SOUISSI

Tunis – Tunesien gilt als Ursprungsort des Arabischen Frühlings, der 2011 zu politischen Umwälzungen in der gesamten arabischen Welt führte. Am Sonntag fanden erstmals seit damals Kommunalwahlen statt. Doch von Frühling war dabei wenig zu merken: Prognosen sehen die Islamisten vorne. Und die Wahlbeteiligung war denkbar gering: Nur 33 Prozent gingen zu den Urnen.

Umfragen sahen die islamisch-konservative Ennahda (Wiedergeburt) voran. Die Partei des Philosophen und Predigers Rached Ghannouchi habe laut den Umfragen landesweit 27,5 Prozent der Stimmen bekommen, hieß es am Sonntagabend im Staatsfernsehen. Laut den dort präsentierten Zahlen des Meinungsforschungsinstituts Sigma Conseil folgte die Partei von Staatspräsident Beji Caid Essebsi und Regierungschef Youssef Chahed dahinter mit 22,5 Prozent.

Die weiteren Parteien blieben abgeschlagen, waren aber auch nicht in allen Gemeinden angetreten. Zudem wurden Hoffnungen auf eine hohe Wahlbeteiligung enttäuscht. Lediglich 33,7 Prozent der überhaupt registrierten Wähler hatten sich beteiligt, teilte die Wahlkommission mit. Bereits am vergangenen Wochenende durften erstmals auch Angehörige der Sicherheitskräfte und des Militärs wählen. Dort lag die Wahlbeteiligung bei lediglich zwölf Prozent.

Ennahda-Anhänger feiern in Tunis

In vielen Gemeinden waren unabhängige Listen gegen die etablierten Parteien angetreten. Die Unzufriedenheit mit der Politik ist groß, trotz demokratischer Reformen kämpft das Land mit wirtschaftlichen Problemen. Anfang des Jahres kam es zu landesweiten Protesten und Ausschreitungen. Die Kommunalwahlen sind Teil der Dezentralisierung und der politischen Reform des Landes. Die Gemeinden sollen dadurch mehr Kompetenzen gegenüber der Hauptstadt Tunis bekommen.

Anhänger der sich selbst als Muslimdemokraten bezeichnenden Partei Ennahda feierten am Sonntagabend in den Straßen von Tunis. "Diese Wahlen senden eine starke Nachricht, dass die tunesische Demokratie lebendig ist", sagte Parteichef Ghannouchi. Seine Partei sei bereit, auf kommunaler Ebene mit jedem unabhängig der Größe zu kooperieren.

Vorwurf des Wahlbetrugs

Die bei der vergangenen Parlamentswahl stärkste Partei Nidaa Tounes veröffentlichte auf ihrer Facebook-Seite noch vor Schließung der Wahllokale eine Stellungnahme, wonach ihre Beobachter gravierende Unregelmäßigkeiten in mehreren Wahllokalen festgestellt hätten. Die Glaubwürdigkeit und Legitimität des Wahlprozesses sei dadurch direkt negativ beeinflusst. Auch die Partei Machroua Tounes kritisierte "fundamentale Verletzungen" bei der Wahl.

Die zivilgesellschaftliche Organisation Mourakiboun (Beobachter) sprach von Einzelfällen. Sie war in zahlreichen Wahllokalen mit eigenen Beobachtern präsent. Sie berichtete am Sonntag von zwei Vorfällen in der Region Gafsa, bei denen Wahlbüros gestürmt und die Wahlurnen zerbrochen worden seien. Sie veröffentlichte auf ihrer Facebookseite ein Foto einer auf den Boden geworfenen Wahlurne mit aufgerissener Seite und auf dem Boden verteilten Wahlzetteln.

EU-Wahlbeobachter vor Ort

Aus Kreisen der EU-Beobachtermission, die mit 124 Beobachtern in Tunesien unterwegs war, hieß es, dass keine größeren Unregelmäßigkeiten festgestellt werden konnten.

Nur rund 5,4 Millionen der etwa 11,4 Millionen Tunesier waren für die Wahl registriert. Offizielle Ergebnisse werden erst in den kommenden Tagen erwartet. Mehr als 53.000 Kandidaten hatten sich für die Gemeindesitze in den 350 tunesischen Gemeinden aufstellen lassen. Viele Gemeinden und Orte abseits der Küstengebiete und Wirtschaftszentren fühlen sich von der Politik im Stich gelassen. In einem Wahllokal in der südlichen Sahara-Stadt Borj el-Khadra war nach Angaben der Wahlkommission kein einziger Wähler erschienen. (red, APA, 7.5.2018)