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Wer küsst denn da? Das Bussi von Jean-Paul Belmondo und Anna Karina aus "Pierrot le fou" (1965) von Jean-Luc Godard ziert das Plakat der diesjährigen Filmfestspiele in Cannes.

Foto: Reuters / Eric Gaillard

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Gesichtertausch In den letzten Jahren wirkte der Wettbewerb zunehmend wie eine Festung, zu der immer dieselben Auserwählten Zutritt hatten. Alter: Tendenz steigend. Nach anhaltender Kritik findet sich heuer endlich eine Reihe neuer Namen unter den Kombattanten. Prompt beklagten sich ein paar Kritiker auch darüber. Geht's noch?

Wir freuen uns jedenfalls auf neue Gesichter: etwa auf den Japaner Ryusuke Hamaguchi, der in Asako I & II eine Frau auf das Double ihres verschollenen Liebhabers treffen lässt. Oder auf US-Regisseur David Robert Mitchell, der nach seinem cleveren Horrorfilm It Follows einen ambitionierten Neo-Noir-Thriller in und über Los Angeles gedreht hat. Andrew Garfield heftet sich auf die Fersen einer mysteriösen Blondine, verkörpert von Riley Keough, der Enkeltochter von Elvis Presley.

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Frauenquote Im Jahr eins nach Ausbruch der #MeToo-Debatte ist der Frauenanteil im Wettbewerb von Cannes mit drei Filmemacherinnen derselbe wie 2017 geblieben. Immerhin präsentiert die Französin Eva Husson einen geschlechterpolitisch zugespitzten Film, der so prädestiniert für A-Festivals ist, dass er von Festivaldirektor Thierry Frémaux schon eigens hervorgehoben wurde. Les filles du soleil spielt unter Soldatinnen im von Extremisten besetzten Kurdistan (unter anderem mit dem iranischen Star Golshifteh Farahani).

Die Italienerin Alice Rohrwacher setzt dagegen ihr feingliedrig gezimmertes Autorenkino fort: Lazzaro felice erzählt eine Kidnappinggeschichte, bestimmt auf ungewöhnliche Weise. Preise sollte man beiden Filmen zutrauen, nicht zuletzt deshalb, weil in der von Cate Blanchett geleiteten Jury Frauen in der Mehrheit sind. Darunter Persönlichkeiten wie die Afroamerikanerin Ava DuVernay oder US-Star Kristen Stewart.

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Selfieverbot Cannes liebt Traditionen, deshalb ist der rote Teppich zu den Galapremieren kein simpler Laufsteg, sondern eine Treppe in den Kinohimmel. Smoking und Abendkleid sind Pflicht. Die Platzanweiser irrten sich jedoch zuletzt im Jahrzehnt, als sie Damen mit zu flachem Schuhwerk den Eintritt verwehrten. Dass seit diesem Jahr auch ein Selfieverbot auf dem roten Teppich gilt – dagegen kann man nur wenig einwenden. Lasst Fotografen ihre Arbeit tun!

Neu ist dieses Jahr auch, Pressevorführungen parallel zu den Weltpremieren abzuhalten statt wie bisher vorab. Man will die Exklusivität wiederherstellen und das Meinungs-"Konfetti" auf Twitter verhindern. Die Filmkritik war aufgebracht. Die Zeit, die man in Cannes in Warteschlangen verbringt, droht damit noch weiter anzuwachsen. Luxusprobleme? Sind eben auch Probleme!

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Regisseure unter Druck: Gleich mehrere für Cannes ausgewählte Filmemacher werden in ihrer Heimat verfolgt. Der iranische Maestro Jafar Panahi, mit Three Faces zurück im Wettbewerb, hat seinen prekären Status im Iran wiederholt auch zum Thema seiner Filme gemacht; nun haben sich sogar die französischen Behörden dafür eingesetzt, dass er seinen Film selbst präsentieren kann. Dass der Russe Kirill Serebrennikow für seinen Film Leto nicht an die Croisette kommen wird, gilt indes bereits als fix.

Der Hausarrest gegen den regierungskritischen Regisseur wurde verlängert, man wirft ihm in einem umstrittenen Verfahren vor, Gelder veruntreut zu haben. Bereits in seiner Heimat verboten wurde Rafiki, ein Film der Kenianerin Wanuri Kahiu, der von zwei Teenagermädchen erzählt, die sich ineinander verlieben. Last, but not least: Lars von Trier, von Cannes selbst aufgrund seiner Hitler-Provokationen von 2011 verbannt, kehrt mit The House that Jack Built zurück – seinem brutalsten Film bisher, wie der schelmische Däne sagt.

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Geheimtipps: Die schönsten Momente eines Festivals sind oft unerwartete Offenbarungen, die einem die Liebe zum Medium Kino bestätigen. Ein guter Kandidat dafür ist der Deutsche Ulrich Köhler, der bereits mit Montag kommen die Fenster und Schlafkrankheit seinen eigenwilligen Blick auf die Welt bewiesen hat. Nun ist er mit In My Room erstmals in Cannes dabei. Es geht um einen Mann, der sein Leben ändern will und dann eines Morgens in einer veränderten Welt erwacht.

Wie Köhler in der Sektion Un Certain Regard läuft auch der Chinese Bi Gan, der 2016 mit seinem Debüt Kaili Blues begeistert hat. Long Day's Journey Into Night trägt nur den Titel von Eugene O'Neills Stück, dahinter verbirgt sich ein Film noir um die Suche nach einer Frau. Und dann wäre da noch ein gewisser Jean-Luc Godard, kein Unbekannter, aber immer für Unbekanntes gut: Le livre d'image ist dem Vernehmen nach ein Essay über die arabische Welt. (Dominik Kamalzadeh, 8.5.2018)