Über die Umstände der Zeugung der Zwillinge, die eine junge Frau 1995 zur Welt gebracht hat, gibt es verschiedene Versionen. Der Vater ist nachweislich ein Priester.

Foto: APA/Harald Tittel

Der Fall einer 41-jährigen Frau, die als Mädchen in Niederösterreich von einem Kaplan geschwängert wurde, sorgt weiter für Empörung. Die Vaterschaft der 1995 geborenen Zwillinge wird von der Erzdiözese Wien nicht abgestritten. Der Priester ist heute in einer Pfarre in Wien tätig. Auf die Umstände der Zeugung gibt es aber verschiedene Blickwinkel. Von Einschüchterungen, Gewalt und Drohungen spricht die Plattform Betroffener kirchlicher Gewalt, von einer "mehrmonatigen Affäre" die Erzdiözese Wien – DER STANDARD berichtete. Laut Erzdiözese habe sich die junge Frau "wiederholt heimlich aus eigener Initiative mit dem Priester getroffen".

Frauenhäuser "erschüttert"

Die Kirche räumte jedenfalls ein, dass sie die von der Frau erhobenen Vorwürfe, sehr ernst nehme. Eine Reihe von Dokumenten, die dem STANDARD vorliegen, erzählen eine eigene Geschichte. Demnach kam die Frau als Zwölfjährige von Bulgarien mit ihrer Mutter und Geschwistern nach Österreich. Sie hatte bereits in Bulgarien und später in Österreich sexuellen Missbrauch erlebt. Wenige Monate nach ihrer Einreise kam sie in das Landesheim, das von Klosterschwestern geführt wurde. Dort traf sie den 17 Jahre älteren Priester und späteren Vater ihrer Kinder. Vom damaligen Kardinal Hermann Groër wurde sie getauft und erhielt den Taufnamen Clara. Ihr amtlicher Name ist der Redaktion bekannt.

Die Formulierung "Affäre" rief am Montag auch den Verein Autonome Frauenhäuser Österreich auf den Plan. "Wir sind zutiefst erschüttert über diese kolportierte Verharmlosung sexueller Übergriffe durch das Oberhaupt der katholischen Kirche in Österreich", so Maria Rösslhumer von den Frauenhäusern, "der vorgeworfene sexuelle Missbrauch dürfte noch dazu im Kontext eines Autoritätsverhältnisses stattgefunden haben:" Das in der Aussendung der Frauenhäuser thematisierte Alter des Mädchens zum Zeitpunkt der Zeugung ist allerdings nicht richtig, es war nachweislich nicht 16, sondern 17. Wie früh die mutmaßlichen Übergriffe begannen, darüber gibt es unterschiedliche Sichtweisen. Der Verein fordert eine "vollkommene Aufklärung", der mutmaßliche Täter solle "strafrechtlich oder zumindest disziplinarrechtlich zur Verantwortung" gezogen werden.

1.700 Betroffene

Clara hat sich vergangene Woche auch an die unabhängige Opferschutzanwaltschaft, gemeinhin als Klasnic-Kommission bekannt, gewandt. Seit acht Jahren ist die aus sieben Mitgliedern bestehende Kommission, in der die Opferschutzanwältin Waltraud Klasnic selbst kein Stimmrecht besitzt, aktiv. Mehr als 1.700 Betroffene bekamen von der Kommission bereits Entschädigungen für erlittenen sexuellen Missbrauch oder Gewalt zugesprochen, so Klasnic. Zuletzt waren es 35.000 Euro für einen Fall in Kremsmünster. "Mir tut jeder leid", erzählt Klasnic am Montag im Gespräch mit dem STANDARD, "der so ein schweres Schicksal erlitten hat". Sie habe selbst mit über 1.000 Betroffenen persönlichen Kontakt gehabt.

Der Klasnic-Kommission wurde in ihrer Anfangszeit 2010 vorgeworfen, sie rate Betroffenen dazu, mit ihren Geschichten nicht an die Öffentlichkeit zu gehen. Darauf angesprochen, wiegelt Klasnic ab: "Ich kann mir das nicht vorstellen. Das hätte ja auch keinen Sinn, das ist, wie wenn man einem Kind Schokolade verbietet, dann wird die Schokolade ja erst interessant." Die Mutter der Zwillinge habe, so behauptet Klasnic, selbst darum gebeten, ihre Geschichte nicht an die Öffentlichkeit zu bringen. Am Freitag tat das aber die Erzdiözese – ohne das Wissen der Frau. Davon will Klasnic aber nichts gewusst haben.

Der zweite Aspekt der Geschichte, zu dem es gegensätzlich Darstellungen gibt, ist jener der Adoption der beiden Zwillinge, etwa sechs Monate nach ihrer Geburt.

Die Version der Erzdiözese: Kirche und Jugendamt seien um das Wohl der Kinder bemüht gewesen, hätten die junge Mutter aber keinesfalls zur Adoption gezwungen. Aus Dokumenten und Briefwechseln geht hingegen hervor, dass sich Clara um den Kontakt zu ihren Kindern jahrelang bemüht habe.

Ein erschütterndes Detail ist ein Schreiben der zuständigen Bezirkshauptmannschaft, in dem Clara 2004 informiert wird, dass Fotos ihrer Zwillingsmädchen, um die sie gebeten hatte, seit acht Jahren bei der Behörde "aufbewahrt wurden" und sie diese nun haben könnte. Zudem gibt es Aktennotizen des Jugendamtes zu Clara und ihren später in einer Ehe geborenen beiden Töchtern, die sie als tadellose Mutter beschreiben. 2008 heißt es in einem weiteren Schreiben der Bezirkshauptmannschaft, dass es "erkennbar" sei, dass sich die "Beschwerdeführerin", also Clara, "nicht wirklich von den Kindern trennen konnte". Sie willigte daher nur in eine offene Adoption ein, bekam die Kinder aber trotzdem jahrelang nie zu sehen.

Die Rolle Schönborns, Prölls Briefe

Dass Kardinal Christoph Schönborn, damals Bischof, von der Vaterschaft des Priesters gewusst habe, steht außer Streit. Dass er in die Adoption eingebunden war, weist die Erzdiözese zurück.

Damit die Kinder von einem österreichischen Paar adoptiert werden konnten, bedurfte es jedenfalls die Einbürgerung der bulgarischen Mutter und ihrer Kinder. Und diese ging im Fall von Clara und ihren Töchtern erstaunlich rasch vonstatten. Dafür gab es Hilfe von höchster Stelle: In einem Brief vom März 1996, der auch dem STANDARD vorliegt, gratuliert der damalige Landeshauptmann Erwin Pröll (ÖVP) Clara dazu, dass in der Regierungssitzung positiv über seinen Antrag abgestimmt wurde, sie und ihre Kinder einzubürgern. (Colette M. Schmidt, 7.5.2018)