Vielleicht ist es aber völlig in Ordnung, sich einzugestehen, dass die Küche ein Ort ist, an dem Leben stattfindet. Und das Leben ist manchmal eben ein bisschen unordentlich.

Foto: Lukas Friesenbichler, Set-Design: Magdalena Rawicka

Diese Geschichte erschien im Rahmen eines Schwerpunkts im RONDO zum Thema (Un-)ordnung.

Foto: Lukas Friesenbichler

Wer sich auf Wohnungssuche begibt, hat Prinzipien. Prinzipien, an denen nicht zu rütteln ist. Keine Extratoilette? Das geht beim besten Willen nicht, wenn man gerne Gäste einlädt. Kein Balkon? Auch dazu gibt es ein klares Nein! Wo sollen die undisziplinierten Freunde sonst nach ein paar Gläsern Wein ihre Gelegenheitszigarette rauchen? Eben! Allerdings: Je länger die Suche nach dem Eigenheim dauert, desto mehr lässt man sich auf Kompromisse ein, desto weniger beharrt man auf Prinzipien.

Lediglich die Küche muss perfekt sein. Sie ist schließlich der Ort, an dem das Leben stattfindet, an dem gegessen, diskutiert und getanzt wird. Aber was ist schon perfekt? Spätestens nachdem man die unzähligen Kartons ausgepackt und Geschirr wie Küchenutensilien in Kästen verstaut hat, kommt die Ernüchterung: Bei der Besichtigung wirkte die Küche irgendwie größer.

Wohin nur mit Fleischwolf, Smoothie-Maker oder dem unverzichtbaren Wurstfüller? Was jetzt folgt, ist ein, euphemistisch formuliert, ausgeklügeltes Ordnungssystem, das nur der Einräumer selbst versteht. Mit einem wirklichen System, wie man es aus Gastroküchen kennt, hat das freilich nichts zu tun. Dort hat alles seinen festen Platz, jeder weiß, wo er was findet, und nach dem Kochen sieht alles wieder aus, als wäre nie jemand da gewesen.

System in der Küche

Sind Köche also so viel disziplinierter als wir? "Pfannen, Töpfe und Geschirr müssen immer auf dem gleichen Platz und griffbereit stehen. Ohne System und Ordnung verliert man viel kostbare Zeit. Es ist sinnvoll, Lebensmittel ordentlich zu verpacken und zu beschriften. Und man muss die Dinge wieder dorthin zurückstellen, wo man sie weggenommen hat", sagt Josef Steffner.

Der Spitzenkoch und Betreiber des Restaurants Mesnerhaus in Mauterndorf kocht zu zweit mit seinem Souschef in einer überschaubar großen Küche. Hier hat jedes Teil seinen ganz eigenen Platz. Und das ist wichtig, wenn man Schulter an Schulter auf so engem Raum zusammenarbeitet.

"In der Profiküche ist die Vorbereitung das Wichtigste. Gerade für die Mise en Place, das Vorbereiten der Zutaten, ist es essenziell, dass alles an seinem Platz steht. Jeder Koch hat da sein eigenes System, weil jeder unter anderen Voraussetzungen kochen muss. Das fängt bei der Größe der Küche an und hört bei den Serviceabläufen auf. Es gibt natürlich Köche, die total chaotisch sind, die meisten sind aber sehr strukturiert. Ich denke, ich bin eine Mischung aus beiden", sagt Steffner.

Chaotische Köche also? Das beruhigt den undisziplinierten Hobbykoch, der keine beschrifteten Behälter hat und die Dinge nach dem Kochen einfach irgendwo hinstellt.

In Bewegung bleiben

Schließlich verändern sich unsere Ordnungsysteme ohnehin im Laufe eines Lebens. Anfangs thront die Teigrührmaschine noch auf der Küchenarbeitsplatte, wandert dann auf den Kühlschrank, um schließlich irgendwo ins unerreichbarste Kastl zwischen Keksausstecher und Schaumrollenförmchen gestopft zu werden.

Die verzweifelten Versuche, mit vermeintlichen Sortiersystemen Ordnung in das unüberschaubare Küchenchaos zu bringen, sind ein letzter unerhörter Hilferuf. Kleine Döschen für Gewürze, große Behälter für Mehl oder superstylishe Messerblöcke machen die Sache nicht besser.

Sollten wir uns also nicht einfach eingestehen, dass die Küche ein ewiges Chaos bleibt? Nicht, wenn es nach der Autorin Roberta Schira geht. In ihrem Buch "Magic Kitchen" schreibt die Italienerin über mehr Wohlbefinden durch eine aufgeräumte Küche. Ja, sogar verlorengegangenes Selbstwertgefühl solle man wiederfinden, wenn man es schafft, seine Küche sauber zu halten und sich auch ab und zu von unnötigem Ballast zu trennen.

Als eine der wichtigsten Voraussetzungen für eine ordentliche Küche nennt Schira den Chef in der Küche. Er müsse nicht unbedingt derjenige sein, der kocht, er sei aber auf jeden Fall der, der den Ton angibt und die von ihm geschaffene Ordnung aufrechterhält. Das klingt nach einem undankbaren Job. Schira hält zum Glück noch mehr Ratschläge parat: zum Beispiel, dass man beim Kochen ein sauberes Geschirrtuch bei der Hand haben oder Schneidbretter für Fleisch, Fisch und Gemüse nach Farben sortieren sollte.

Weitere verzichtbare Tipps findet man im Internet. Selbsternannte Ordnungsprofis raten da auf Websites von Frauenzeitschriften, sich von alten Sachen zu trennen oder Küchengeräte nach dem Kochen wegzuräumen. Wow! Das eröffnet völlig neue Möglichkeiten.

Ebenso wie die unzähligen Fotos und Videos mit Lifehacks für die perfekte "Monk"-Küche. Echt jetzt? Marmeladegläser für Gewürze in Regale schrauben? Aktenordner für Topfdeckel an die Wand nageln? Ob es derlei "sinnvolle" Ratschläge tatsächlich braucht, muss jeder für sich entscheiden. Vielleicht ist es aber völlig in Ordnung, sich einzugestehen, dass die Küche ein Ort ist, an dem Leben stattfindet. Und das Leben ist manchmal eben ein bisschen unordentlich. (Alex Stranig, RONDO, 2.6.2018)

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