Warum wohnen Menschen so, wie sie wohnen? Mietwahnsinn, Spekulation und soziale Durchmischung sind seit jeher Aufreger.

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Das Thema leistbares Wohnen bewegt. Und zwar nicht nur in Wien, wo Baugrund ein rares Gut ist und private Projekte im Luxussegment die Preise in die Höhe treiben. Zuletzt punktete der Grünpolitiker Georg Willi, der nächste Innsbrucker Bürgermeister, mit dem Thema: Die vergangene Wahl hat er mit seinem auf diese Forderung zugeschnittenen Programm klar für sich entschieden .

Dabei ist der Ruf nach leistbaren Unterkünften seit jeher aktuell: Wie wohnen Menschen? Und warum wohnen sie so, wie sie wohnen? Diese Fragen leiteten schon Friedrich Engels an, der in den 1840er-Jahren monatelang in englischen Arbeitervierteln lebte. Dreck, Gewalt, Verwahrlosung und Verbrechen in den hauptsächlich von irischen Einwanderern bewohnten Vierteln prägten den jungen Industriellensohn und führten zu seiner vielbeachteten Sozialreportage "Die Lage der arbeitenden Klasse in England". Wie später auch George Orwell erkannte Engels die Bedeutung des Wohnens für die soziale Lage eines Menschen.

Dass es die Baracken der Industriearbeiter – in Mitteleuropa – nicht mehr gibt, schaffe jedoch die Wohnfrage nicht ab, sagte Christian Reutlinger von der FH St. Gallen bei einer Campus Lecture der FH Campus Wien zum Thema "Leistbares Wohnen". "Hausen oder Wohnen – darum geht es."

Aktuell sei vor allem der sogenannte Mietwahnsinn – also die spekulationsbedingte Vertreibung von Mietern – schuld daran, dass Menschen ihre Wohnungen nicht halten können. Die gezielte "Entmietung", die Platz macht für Spekulationsobjekte und die Preise nach oben treibt, sei für Städte wie Wien ein großes Problem, meinte der Schweizer Sozialgeograf.

Gemeindebauten für Armutsgefährdete

Diskutiert man über das Wohnen in Wien, geht es meist schnell um den Gemeindebau, der im internationalen Vergleich eine solitäre Stellung einnimmt. 220.000 Wohnungen im Besitz der Stadt Wien gibt es, fast eine halbe Million Menschen wohnt darin. International gilt Wien damit als Vorbild in Sachen kommunaler Wohnbau.

Doch in den letzten Jahren konnte der Gemeindebau mit dem wachsenden Bedarf nicht mithalten. "Waren in den 90er-Jahren noch 70 bis 80 Prozent der Neubauten kommunal, so sind es heute nur mehr 40 Prozent", sagte Martin Orner vom gemeinnützigen Wohnbauträger EBG bei der vom Masterstudiengang Sozialraumorientierte und Klinische Soziale Arbeit organisierten Veranstaltung.

In der Diskussion kam auch die Frage auf, für wen Gemeindebauten und geförderte Wohnungen überhaupt gebaut werden sollen. Nur für die untersten Einkommensschichten, wie es die Grundidee in den 1920er-Jahren war? Orner plädiert eher für eine soziale Durchmischung.

Der kommunale Wohnbau sei aber oft die einzige Chance für Geringverdiener, die durch hohe Mieten aus dem privaten Sektor gedrängt werden. Das führe dazu, so Orner weiter, dass knapp 50 Prozent der Gemeindebaubewohner armutsgefährdet sind.

Große Hürden für Ausländer

Besonders schwer hätten es Ausländer und Flüchtlinge, die nach Wien kommen, warf Elisabeth Hammer von der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe ein. Anspruch auf eine Gemeindewohnung haben sie nicht, die Mieten und finanzielle Hürden wie eine Kaution seien oft schwer aufzubringen.

Die Sozialarbeiterin stellte eine Grundsatzfrage: "Wie viel darf Wohnen kosten, um leistbar zu sein?" Die Statistik Austria legt den Wert bei 25 Prozent des Haushaltseinkommens fest. Sie verrät auch, was ein durchschnittlicher Haushalt (Medianeinkommen) im Monat zur Verfügung hat: knapp 2000 Euro. Demnach bedeutet "leistbar" nicht mehr als 500 Euro im Monat für einen Durchschnittshaushalt.

Das von der Regierung propagierte Mittel gegen hohe Mieten – den Erwerb von Eigentum – hält der Baugenossenschafter Orner für die falsche Medizin: "Die wenigsten verfügen über das Vermögen für den Kauf von Eigentumswohnungen und müssen daher Kredite aufnehmen. Das kann ganz schnell in der Schuldenfalle enden."

Eine klare Antwort, wie leistbares Wohnen für alle möglich wird, konnte die an der FH Campus Wien versammelte Expertenrunde naturgemäß nicht geben. Doch Anstöße gab es zahlreiche: von einer gänzlich nichtmarktwirtschaftlichen Gestaltung des Wohnens über einen sozial sensibleren kommunalen Wohnbau bis zur politischen Eindämmung der Immobilienspekulation. (David Tiefenthaler, 15.5.2018)