OMV-Generaldirektor Rainer Seele sieht sich trotz Klimadiskussion alles andere als mit dem Rücken zur Wand sitzend.

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Er ist als Retter in der Not geholt worden, um Österreichs größtes Industrieunternehmen, die OMV, auf Kurs zu bringen. Dies ist dem gebürtigen Deutschen Rainer Seele mit einem Strategiewechsel weg von teuren Produktionsstätten hin zu zu günstigerem Öl und Gas auch geglückt. Die OMV schreibt wieder fette Gewinne. An Herausforderungen gibt es dennoch genug.

STANDARD: Wenn Sie wählen müssten zwischen einem Benziner, Diesel, Elektroauto und wasserstoffbetriebenem Fahrzeug, was würden Sie nehmen?

Seele: Einen Diesel, aber einen der neuesten Generation.

STANDARD: Auch in fünf Jahren?

Seele: Warum denn nicht? Der Diesel wird zu Unrecht verdammt. Der ist sparsam im Verbrauch und hat wenig CO2-Emissionen. Und er hat noch viel Potenzial.

STANDARD: Das müssen Sie als OMV-Chef wohl sagen, um das Geschäftsmodell, mit dem der Konzern neuerdings wieder gutes Geld verdient, in die Zukunft zu retten.

Seele: Wir müssen gar nichts retten. Ich halte mich an die Prognosen der Internationalen Energieagentur (IEA), wonach der Öl- und Gasbedarf steigen wird – nicht unbedingt in Europa, aber weltweit.

STANDARD: Die IEA lag mit ihren Voraussagen schon oft daneben.

Seele: Häufig ist aber auch eingetreten, was die IEA prognostiziert hat. Die Mitte ist meist das richtige Maß, auch bei Prognosen.

STANDARD: Wie tragfähig ist Ihr Geschäftsmodell mittelfristig noch angesichts der Klimaziele von Paris, die auf ein Ende des Verbrennens fossiler Treibstoffe bis spätestens 2050 hinauslaufen?

Seele: Tragfähig genug, jedenfalls für die nächsten Jahre. Wir haben dann noch immer ausreichend Zeit, zu reagieren, sollte sich die Situation nach 2030 komplett anders darstellen. Jedenfalls stellen wir uns jetzt schon breit auf, sind mit der 40-Prozent Beteiligung Smatrics beim Schnellladen von Elektroautos dabei, bieten auch Wasserstoff für Antriebe mit Brennstoffzellen an und haben auch Erdgastankstellen im Land. Die Kunden sollen und werden entscheiden, was gewollt wird.

STANDARD: In vielen Ländern wird autonomes Fahren getestet, in kleinerem Maßstab auch in Österreich. Wie wollen Sie sicherstellen, dass diese Fahrzeuge dereinst bei Ihren Stationen tanken oder aufladen?

Seele: Warten wir ab, bis es so weit ist. Da sind viele rechtliche Fragen zu klären, das dauert. Jedenfalls scheint es so, als ob selbstfahrende Autos viel serviceintensiver sind, da sie mehr fahren als stehen. Das ist gut für Tankstellen mit einem starken Servicearm.

STANDARD: Welche bessere Verwendung statt des Verbrennens von Kohlenwasserstoffen ist denkbar?

Seele: Man kann noch mehr Produkte als bisher aus Rohöl gewinnen. Wir machen das auch, über Borealis. Das Kunststoffunternehmen, an dem wir 36 Prozent halten, bezieht Basisrohstoffe wie Naphtha, Butan, Propan und Ethan aus der Raffinerie Schwechat und wandelt sie in Ethen und Propen um. Daraus entstehen Kunststoffteile, unter anderem für die Autoindustrie. Wir versuchen zunehmend auch den umgekehrten Weg – aus Kunststoffabfällen synthetisches Rohöl gewinnen, um so die Abhängigkeit von fossilen Rohstoffen zu verringern.

STANDARD: Einen Sprung in der Produktion könnte es außer in Russland im Schwarzen Meer vor Rumänien geben. Wovon hängt die finale Investitionsentscheidung für das Gasfeld ab?

Seele: Wir gehen parallel mit unserem Partner Exxon vor, der Konsortialführer beim Neptun-Feld ist. Wir müssen zuerst die Kunden an der Hand haben, die in der Lage und willens sind, so große Mengen an Gas abzunehmen.

STANDARD: Wann ist mit einer Entscheidung zu rechnen?

Seele: Jedenfalls noch heuer.

STANDARD: Um welche Mengen geht es für die OMV dabei?

Seele: Wir rechnen mit 50.000 bis 70.000 Fass (je 159 Liter) Öläquivalent am Tag, also ganz schön viel.

STANDARD: Gehen Sie in der Vermarktung der Neptun-Schätze gemeinsame Wege mit Exxon?

Seele: Nein, wir machen nur die Exploration gemeinsam, bei der Vermarktung wird die Firewall hochgezogen.

STANDARD: Im Rückblick betrachtet, ist es gut oder schlecht, dass aus der Nabucco-Pipeline nichts geworden ist? Die hätte Gas aus dem kaspischen Raum via Türkei bis nach Baumgarten an der slowakischen Grenze bringen sollen.

Seele: Ich schaue ungern zurück, mein Blick ist nach vorne gerichtet. Generell möchte ich sagen, dass jede zusätzliche Pipeline ein Vorteil ist und die Versorgungssicherheit erhöht.

STANDARD: Man könnte bei Nabucco argumentieren, dass durch das Nichtzustandekommen Präsident Erdogan eine Möglichkeit weniger hat, Europa unter Druck zu setzen?

Seele: Das möchte ich nicht kommentieren. Es ist aber interessant, dass man das große Risiko immer bei Russland ortet, anderswo aber meist als geringer annimmt.

STANDARD: Jedenfalls sticht eine Parallele zur Ukraine ins Auge, die wegen wiederholter Störungen des Transits von russischem Gas mit einer zweiten Röhre auf dem Boden der Ostsee umgangen werden soll.

Seele: Umgangen haben sie gesagt. Wir sehen das als Möglichkeit, Gas günstiger zu den Endverbrauchern in Europa zu bringen. Die Distanz von den russischen Gasfeldern durch die Ostsee ist kürzer, zudem wird nur eine Transitgebühr für die Leitung fällig statt drei bis vier auf dem Landweg.

STANDARD: Wie schätzen Sie die Realisierungschancen ein, nachdem der politische Widerstand gegen die Ostseepipeline nun auch in Deutschland zu steigen scheint?

Seele: Was heißt Widerstand? Wir haben die Baugenehmigung in Deutschland erhalten ...

STANDARD: ... für ein paar Kilometer.

Seele: Wir brauchen Baugenehmigungen von insgesamt fünf Staaten. Die von Finnland und Deutschland haben wir bereits, die von Russland, Schweden und Dänemark werden wir heuer noch bekommen, davon bin ich überzeugt. Und dann wird gebaut.

STANDARD: Sind die 405 Millionen Euro, die die OMV als Zehn-Prozent-Financier der Nord Stream 2 bisher vorgestreckt hat, verloren, sollte es entgegen Ihren Erwartungen doch nicht durchgehend grünes Licht für die Pipeline geben?

Seele: In diesem unwahrscheinlichen Fall wird es noch Verhandlungen mit der Nord-Stream-2-Gesellschaft geben.

STANDARD: Im Vorjahr wurde Ihr Vertrag vorzeitig um zwei Jahre bis Juni 2020 verlängert. Sie sind dann 59. Wie sieht Ihre Lebensplanung für das nächste Jahrzehnt aus?

Seele: Bis dorthin gibt es noch viel Zeit und Gelegenheit, mit dem Aufsichtsrat zu sprechen. Mehr ist dazu nicht zu sagen. (Günther Strobl, 9.5.2018)