Ungleichbehandlung am Arbeitsplatz und sexuelle Belästigung hängen zusammen.

APA/Barbara Gindl

Ausgerechnet bei Nike sollen Frauen unter einem vergifteten Betriebsklima gelitten haben.

APA/Natalie Beh

Wien – Als Uber-Boss Travis Kalanick im vergangenen Juni eine längere Abwesenheit vom Chefsessel ankündigte, wunderte sich kaum jemand. Grund für Kalanicks Rückzug war unter anderem ein desaströser medialer Sturm gegen den umstrittenen Fahrdienstvermittler, ausgelöst durch eine Beschwerde über interne sexuelle Belästigung und Diskriminierung.

Nun rückt ein anderer US-Konzern in den Fokus von Sexismusvorwürfen. Ausgerechnet Nike, der weltweit größte Sportbekleidungshersteller, von dessen Billboards seit Jahrzehnten selbstbestimmte und zielstrebige Powerfrauen lächeln, sieht sich mit massiven Anschuldigungen konfrontiert.

Nike-Frauen rebellieren

Mithilfe einer heimlichen Umfrage wurden massenhaft Beispiele des grassierenden Sexismus, der sexuellen Belästigung und der toxischen Unternehmenskultur dokumentiert, die anscheinend das Arbeitsleben vieler Nike-Mitarbeiterinnen bestimmten. Ein Katalog mit Beweismaterial landete auf Nike-Chef Mark Parkers Schreibtisch. Mehrere männliche Bosse traten zurück, darunter der Leiter der Abteilung Vielfalt und Inklusion und Nike-Markenchef Trevor Edwards.

Parker bezeichnete Mitarbeiter, die es gewagt hatten, Anschuldigungen vorzubringen, als "mutig", verteidigte seine Firma, die einen Marktwert von etwa 112 Milliarden Dollar hat, jedoch auch: Er bedauere, dass es in seinem Unternehmen Verhaltensweisen gebe, "die nicht konsistent mit unseren Werten sind". Dass nun fast zwei Dutzend Führungskräfte bei Nike von der #MeToo-Bewegung eingeholt wurden, könnte langfristige Imageschäden verursacht haben, wie der Hashtag #boycottnike vermuten lässt.

Hollywood war nur der Anfang

Der Fall Nike könnte auch ein Vorgeschmack auf die Auswirkungen sein, die die #MeToo-Bewegung in Zukunft auf die freie Wirtschaft haben wird – auch in Österreich. Auch außerhalb von Hollywood wollen seit dem tiefen Fall von Harvey Weinstein und allem was danach kam immer mehr größere Konzerne derartigen Skandalen vorbeugen: Codes of Conduct, überarbeitete Verhaltensrichtlinien, Diversity-Quoten und Diskriminierungsverbote sollen die Gefahr einer Beschwerdelawine und Klagen in Millionenhöhe abwenden.

Für die grüne Salzburger Landesrätin Martina Berthold reicht das Gleichbehandlungsgesetz allein nicht aus: "Es kann sexuelle Übergriffe nicht vollständig verhindern, aber es spricht Klartext. Damit Belästigung in Betrieben verhindert und ein wertschätzendes Arbeitsklima geschaffen werden kann, braucht es begleitende Maßnahmen", sagt Berthold dem STANDARD. "Im Zentrum stehen für mich hier die Chefs und Chefinnen. Sie müssen als Rolemodels für ein diskriminierungsfreies Zusammenarbeiten agieren. Und es braucht klare betriebliche Leitsätze, die bestimmt sagen: Wir dulden Übergriffe und Diskriminierungen nicht."

Gleiche Chancen am Arbeitsplatz

Berthold betont, dass viele Frauen oftmals aus Angst um den Job schwiegen, wenn sie belästigt würden. Eine offene Unternehmenskultur ermutige die Frauen, jede Art von Gewalt und Benachteiligung zu melden und sich Unterstützung zu holen. Oftmals geht es in erster Linie um Chancengleichheit und Gleichbehandlung.

Sabine Wagner-Steinrigl von der Gleichbehandlungsanwaltschaft sieht einen klaren Zusammenhang zwischen sexueller Belästigung und Ungleichbehandlung in Unternehmen. Auch sie ist der Meinung, dass das Gleichbehandlungsgesetz nicht ausreicht, um den nötigen Wandel einzuläuten.

"Wir können nur punktuell Unternehmen helfen, die auf uns zukommen. Aber man merkt schon deutlich, dass sich nun vermehrt Leute aus professionellen Bereichen mit verkrusteten Strukturen trauen, etwas zu sagen, aus der Kunstbranche zum Beispiel oder Zivildiener. Aber auch Männer, die sich sexuell diskriminiert fühlen, haben sich seit #MeToo an uns gewandt."

Österreichs Unternehmer reagieren

Wagner-Steinrigl sieht den Effekt von #MeToo ganz deutlich: Vergangenes Jahr bekam sie rund 1.400 Anfragen zu geschlechtlichen Diskriminierungsfällen – fast eine Verdoppelung im Vergleich zum Vorjahr. "Es sind schon große Zahlen, und es ist auffällig, wie sehr diese Anfragen seit #MeToo zugenommen haben", sagt sie. "Es sind vor allem Anfragen von Unternehmen, die sagen: 'Wir möchten wissen, was wir machen können, um Mitarbeiter und Führungskräfte zu informieren.' Die Art des Herantretens an uns hat sich deutlich geändert."

Die Gleichbehandlungsanwaltschaft will breitere Teile der Öffentlichkeit und Wirtschaft für Vorfälle von sexueller Diskriminierung sensibilisieren. Mithilfe einer "Gleichbehandlungsapp" werden typische Diskriminierungssituationen bildhaft erläutert, während User in einem interaktiven Bereich erlebte oder beobachtete Vorfälle aufzeichnen können. Für Unternehmen werden Workshops und Broschüren angeboten, die Maßnahmen zur Vermeidung von Diskriminierung lehren sollen.

#MeToo geht in die nächste Runde

Dass Sexismus nun branchenübergreifend in der Wirtschaft ein Großthema ist, daran kann kein Zweifel mehr bestehen. In Deutschland tobt seit Monaten die Debatte über das generische Maskulinum – Anredeformen wie "Kunde", mit denen Frauen "mitgemeint" sein sollen. Die Hashtags #maskulinum und #Aufschrei polarisieren fleißig und provozieren täglich neue Diskussionen über aggressiven Führungsstil, sexistische Firmenkultur und Machtgefälle zwischen den Geschlechtern im Job.

Die Österreichische Filmakademie hat eine Vertrauensstelle für sexuelle Belästigung eingerichtet, in Großbritannien will die öffentlich-rechtliche Rundfunkgesellschaft BBC nun 50:50-Geschlechterquoten einführen, um genug weibliche Experten im Studio zu garantieren.

Auch für die Arbeitskammer ist Sexismus ein Thema. "Sexuelle Belästigung ist ein Anschlag auf die Menschenwürde", heißt es auf ihrer Webseite. "Sie ist häufig ein Ausdruck der Machtverhältnisse und betrifft vorwiegend Frauen. Gesetzliche Sanktionen sind wichtig, aber sie greifen meistens erst, wenn es eigentlich bereits zu spät ist. Verhindert und gelöst werden können einschlägige Probleme am ehesten dort, wo sie entstehen – am Arbeitsplatz." (Jedidajah Otte, 10.5.2018)