Nachdem US-Präsident Donald Trump am Dienstag das in Wien verhandelte Atomabkommen mit dem Iran aufgekündigt hat, droht eine Eskalation am Persischen Golf. Der in Wien lebende Atomphysiker Behrooz Bayat erklärt, welche Auswirkungen Trumps Entscheidung haben könnte.

STANDARD: Welche Fraktionen im Iran werden von Präsident Donald Trumps Aufkündigung des Atomdeals profitieren?

Bayat: Wohl die Hardliner, wenn überhaupt jemand davon profitieren würde. Bei Druck von außen, besonders wenn dieser auch mit kriegerischen Mitteln ausgeübt zu werden droht, hat das Militär das Sagen. Angesichts der massiven Unzufriedenheit in der Bevölkerung, die sich tagtäglich in Protesten entlädt, wäre es auch möglich, dass Teile des Regimes eine Auseinandersetzung mit den USA als "Geschenk Gottes" sehen, um im Inland reinen Tisch zu machen und die aufkeimende Protestbewegung im Keim zu ersticken. Darunter leiden wird auf jeden Fall das ganze Land.

STANDARD: Die E-3, also Großbritannien, Frankreich und Deutschland, haben es nicht geschafft, Trump von seiner Entscheidung abzubringen. Wie wird Europas Iran-Politik in Zukunft aussehen?

Bayat: Wenn die EU weiter hinter dem Iran-Abkommen steht, wird sie sich bemühen, dass die Iraner auch die wirtschaftlichen "Früchte" der Vereinbarung genießen können. Präsident Hassan Rohani hat gestern verlautbart, dass der Iran nur im Atomabkommen bleiben wird, wenn die Europäer auch wirklich gemäß ihrer Erklärung tätige Hilfe leisten.

STANDARD: Hat sich Rohanis Hoffnung, mit dem Deal eine Verbesserung der Wirtschaftslage im Iran zu erreichen, erfüllt?

Bayat: Für den Ölexport zum Beispiel gilt das durchaus: Tankschiffe konnten vorher nicht versichert werden, auch die Banken waren bei Auslandstransaktionen sehr eingeschränkt. Sanktionen des UN-Sicherheitsrats wurden aufgehoben, wegen der von den USA verursachten Verunsicherung konnten große Banken und Konzerne sich aber nicht wie beabsichtigt im Iran engagieren.

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Im iranischen Parlament brannte am Mittwoch eine (papierene) US-Flagge.
Foto: AP

STANDARD: Iranische Abgeordnete haben am Mittwoch von den verbleibenden Unterzeichnern Deutschland, Großbritannien, Frankreich, Russland und China "Garantien" gefordert, um trotz Trumps Aufkündigung im Atomdeal zu bleiben. Wie könnten solche Garantien aussehen?

Bayat: Die verbleibenden Mächte könnten formell ihre Absicht erklären, ihre Verpflichtungen gegenüber dem Iran einzuhalten.

STANDARD: China will weiter Öl aus dem Iran importieren, auch Russland beeindruckt Trumps Aufkündigung wenig. Welche Reaktion erwarten Sie vom Nato-Mitglied Türkei, das ja in der Vergangenheit eine wichtige Rolle bei der Umgehung der Iran-Sanktionen spielte?

Bayat: Die Türkei wird wohl bei der bisherigen Vorgehensweise bleiben: Für die USA ist es leicht, gegen große Firmen oder global agierende Finanzinstitute vorzugehen, wenn diese mit dem Iran Geschäfte machen. Der vielfältige Handel zwischen dem Iran und der Türkei verläuft auf viel niedrigerem Niveau. Die beiden Nachbarn werden trotz aller Differenzen einen Weg finden, sich zu arrangieren, wie sie es seit Jahrzehnten tun.

STANDARD: Trump hat dem Iran vorgeworfen, im Ausland die Hisbollah, die Hamas, die Taliban und die sunnitische Al-Kaida zu unterstützen, dazu kommen die Huthi im Jemen. Welche Bedingungen müssten erfüllt werden, um die iranische Regierung dazu zu bringen, ihr militärisches Auslandsengagement zurückzufahren?

Bayat: Nicht alles, was Trump gestern erzählt hat, ist wahr. Eine Unterstützung der Taliban ist nicht erwiesen, im Gegensatz zur iranischen Einmischung im Libanon, in Syrien, im Irak und teilweise im Jemen sowie der Hilfe für die Hamas. Die Grundlage ist Irans Feindschaft gegenüber Israel und den USA. Wenn kein Paradigmenwechsel in der iranischen Außenpolitik erfolgt, glaube ich da nicht an eine Lösung.

STANDARD: Kann Trumps gestrige Erklärung dabei helfen, oder ist eher zu erwarten, dass aufgrund der Aufkündigung solche Aktivitäten intensiviert werden?

Bayat: Ich befürchte, dass das Theater, das Trump und Israels Premierminister Benjamin Netanjahu veranstaltet haben, darauf hindeutet, dass Trump einen Regimewechsel im Iran erreichen will. Es wäre allerdings auch möglich, dass Trump lediglich ein deutliches Signal an seine Wählerschaft in den USA senden wollte. Wenn das gestern also nur eine Show war, könnte es noch einmal glimpflich ausgehen. Wenn Trump allerdings anstrebt, mit fadenscheinigen Begründungen wie im Irak das iranische Regime zu stürzen, ist das besorgniserregend. Trump betreibt Vandalismus: Er hat ein Instrument, das bisher allen Vertragspartnern zufolge ohne Probleme funktioniert hat, zerstört.

STANDARD: Trumps neuer Sicherheitsberater John Bolton verlangte schon vor drei Jahren, den Iran zu bombardieren, um den Bau einer Atombombe zu verhindern. Auch der neue Außenminister Mike Pompeo ist in der Iran-Frage ein Hardliner. Wie hoch ist die Gefahr einer Eskalation?

Bayat: Diese Bestellungen deuten darauf hin, dass Trump tatsächlich einen Regimewechsel im Iran anstreben könnte. Ob diesem Ansinnen Erfolg beschieden sein wird, bezweifle ich allerdings: Die Amerikaner haben aus dem Irak-Krieg gelernt, dass sie nicht einfach ein Land militärisch besetzen können, und im viel größeren Iran müssten sie sich darauf konzentrieren, wichtige Zentren zu zerstören. Das würde zwar das Land um Jahrzehnte zurückwerfen, die Herrschaftsverhältnisse aber nicht verändern.

Im Irak haben die USA von 1991 bis 2003 fast täglich militärisch interveniert oder Bomben abgeworfen, durch die Irak-Sanktionen sind sehr viele Menschen, darunter zahlreiche Kinder, gestorben, was aber nicht zu einem Zusammenbruch des Regimes Saddam Husseins geführt hat. Begrenzte militärische Operationen werden nicht den Erfolg haben, den sich die USA, Israel und Saudi-Arabien erwarten, sondern im Gegensatz dazu führen, dass die junge Bürgerbewegung im Iran im Keim erstickt wird. (Bert Eder, 9.5.2018)