Internationale Gäste hatten in den vergangenen Jahren Seltenheitswert bei der Moskauer Militärparade zum Tag des Sieges über den Nationalsozialismus. 2015, zum 70. Jahrestag, hatte der Kreml 68 Einladungen an Staats- und Regierungschefs verschickt, nur 23 nahmen das Angebot an, wobei Moskau für die Statistik auch international nicht anerkannte Staaten wie Südossetien und Abchasien mitzählte.

Wegen des Ukraine-Konflikts blieben bis auf Zyperns Nikos Anastasiadis sämtliche EU-Staatschefs dem Ereignis fern. Danach beendete Moskau die Praxis des Massenversands von Einladungen. Trotzdem ist die russische Führung naturgemäß über jeden Gast froh, der kommt, um sich die gigantische Waffenschau am 9. Mai anzusehen.

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Interkontinentalraketen des Typs Yars RS-24.
Foto: REUTERS/Sergei Karpukhin

In diesem Jahr zeigte die russische Armee erstmals neue Drohnen, das Panzerfahrzeug Terminator und das Kampfflugzeug MiG-31 mit dem Hyperschall-Raketenkomplex Kinschal (Dolch) auf dem Roten Platz.

Kampfpanzer T-14 Armata, diesmal ohne technische Probleme.
Foto: APA/AFP/KIRILL KUDRYAVTSEV

Mit den Raketen hatte Wladimir Putin im März – quasi als Wahlkampfrede – die Welt aufgeschreckt, als er sie als einen Teil von Russlands neuem Superwaffenarsenal aufführte. An diesem Mittwoch schauten sich nun immerhin zwei Staats- und Regierungschefs die Raketen näher an: Serbiens Präsident Aleksandar Vučić und Israels Premier Benjamin Netanjahu.

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Während Serbien als traditioneller Verbündeter Russlands gilt, war Netanjahus Teilnahme wohl vor allem opportunistischer Natur: Im Nahen Osten drohen Russlands und Israels Interessen miteinander zu kollidieren. Netanjahu fühlt daher in Moskau nach, wie weit er mit seiner eigenen Agenda kommt. "Alle unsere Treffen sind wichtig, doch dieses besonders. Im Lichte des Geschehens in Syrien muss die weitere Koordinierung im Bereich der Sicherheitspolitik zwischen russischer Armee und israelischer Selbstverteidigungsarmee garantiert werden", hob Netanjahu am Morgen kurz vor dem Treffen mit Putin die Bedeutung der Verhandlungen hervor.

Raketeneinschlag nahe Damaskus

Wenige Stunden vor der Parade wurden bei einem Raketeneinschlag nahe Damaskus Berichten zufolge neun Menschen getötet. Syrischen Angaben zufolge wurden die Raketen von Israel aus abgefeuert und galten einem Waffendepot der iranischen Revolutionsgarden.

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Die Auswirkungen des Raketenangriffs in Syrien.
Foto: AP/Syria News

Israel kommentierte die Berichte nicht, doch der Konflikt zwischen mit Teheran spitzt sich dramatisch zu. Die israelische Regierung fühlt sich durch den Iran bedroht. Vor allem passt ihr der wachsende Einfluss des Iran in Syrien überhaupt nicht. Ein Blick auf die Karte verdeutlicht die Bedenken: Zwischen Israel und dem Iran gibt es keine direkte Grenze, wohl aber zwischen Israel und Syrien.

Am Sonntag hatte Netanjahu den Iran wegen seiner Militärpräsenz in Syrien scharf kritisiert und unverblümt mit Krieg gedroht. "Wir wollen keine Eskalation, aber wir sind auf jedes Szenario vorbereitet", eine Konfrontation sei "besser jetzt als später", so der israelische Regierungschef. Die Raketen dürften eine Art Warnschuss gewesen sein.

Lob für Trumps Ausstieg

Bestärkt wurde Israel in seiner harten Haltung zuletzt durch Entscheidungen in Washington. Dort hatte Donald Trump den Atomdeal mit dem Iran einseitig aufgekündigt und dem Mullah-Regime lautstark, aber ziemlich beweisfrei vorgeworfen, heimlich an der Atombombe zu arbeiten. Israel kritisiert den Atomdeal mit dem Iran seit langem. Es war daher eines der wenigen Länder, aus denen Lob für Trumps Kündigung des Atomdeals kam. Nur so sei die "schiitische Atombombe" noch zu stoppen gewesen, hieß es in der Tageszeitung "Ma'ariv" beispielsweise.

Doch in Syrien gibt es mit Russland einen weiteren wichtigen Akteur: Seit Beginn der Luftoperationen gegen die Gegner von Bashar al-Assad ist der Kreml sogar zum dominantesten Teilnehmer des Konflikts in dem Bürgerkriegsland geworden. Und Moskau hat eine – zwar labile und von gegensätzlichen Interessen getragene, aber bislang erstaunlich langlebige und erfolgreiche – Allianz mit Ankara und Teheran geschmiedet, um das Land wieder unter Kontrolle des eigenen Verbündeten Assad zu bringen.

Moderne Luftabwehr für Assad

Insofern muss Israel bei allen gegen den Iran gerichteten militärischen Aktivitäten in Syrien auch die Reaktion Russlands im Auge behalten. Die iranischen Waffensysteme gelten weitgehend als veraltet, eine daraus entstehende Konfrontation mit Russland hingegen könnte für die israelische Luftwaffe sehr unangenehme Konsequenzen haben. Schon jetzt hat Russland in dem Nahoststaat zum Schutz der eigenen Militärbasen hochmoderne S-400-Luftabwehrraketen stationiert.

Nach den jüngsten US-Luftschlägen gegen Assad hat Moskau sogar die Lieferung der ebenfalls modernen S-300-Systeme an den syrischen Staatschef in den Raum gestellt. Vor sieben Jahren war diese Lieferung auf kommerzieller Basis im letzten Moment gescheitert – Russland hatte sich von dem Deal zurückgezogen, um israelische Sicherheitsinteressen nicht zu gefährden. Ob es Netanjahu auch diesmal gelingt, mit seinem für den Kreml aus Imagegründen wichtigen Besuch der Militärparade Zugeständnisse für eigene Militäroperationen in Syrien herauszuschlagen, bleibt abzuwarten. (André Ballin, 9.5.2018)